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Zum Abschied ein Clown

Trauer bedeutet für viele von uns: schwarz statt bunt, Moll statt Dur, Weinen statt Lachen. Dabei müssen wir uns gar nicht für ein Entweder-oder entscheiden. Auch Clowns können durchaus Teil des Abschiednehmens und der Trauerphase sein. Die Dresdner MediClowns treten in Kliniken auf und machen so den vorwiegend jungen Patienten die letzten Wochen und Tage etwas leichter.

Zum Abschied ein Clown
Ein grauer Donnerstagnachmittag im Uniklinikum Dresden. Es herrscht das alltägliche geschäftige Kommen und Gehen von Krankenwagen, Patienten, Besuchern, Mitarbeitern. Eine Frau mittleren Alters kommt auf mich zu: „Hallo, ich bin Malina Himbeere!“ Ich begrüße sie und denke: „Wie eine Clownin sieht sie nicht gerade aus in ihrer Winterjacke und den Jeans. Und wo ist eigentlich die rote Nase?“ Wir gehen in einen Aufenthaltsraum. Malina Himbeere, die mit richtigem Namen Gesine Kreutzer heißt, erläutert: „Das ist unsere Garderobe.“ In der Mitte steht ein Tisch mit Stühlen, an der Wand ein großer Schrank, in den sogleich allerlei Gegenstände geräumt werden: Sticker, Buttons, Seifenblasen-Macher, Autogrammkarten, Heilsteine. „Das sind alles Utensilien, die wir immer mal wieder bei unseren Auftritten einsetzen“, so Kreutzer. Nach und nach trudeln drei weitere Damen ein, ebenfalls in Alltagskleidung. Von Clowns nach wie vor keine Spur.

„Je mehr Schminke, desto größer die Distanz und Abgrenzung“

// Ute Gilles, eine von drei Vorständen beim MediClowns Dresden e.V.

Dann jedoch passiert es: weite Hosen und Mäntel werden ausgepackt, außerdem knallbunte Shirts, Dekoblumen und endlich auch rote Nasen. Schminkkoffer werden geöffnet – und dann heißt es für mich: „Bitte verlassen Sie den Raum.“ Nach einer Viertelstunde öffnet mir nicht mehr Gesine Kreutzer die Tür, sondern eine Clownin im Himbeerrock mit breiten roten Trägern, Ringelstrümpfen, bunter Schleife im Haar, grüner Brille und roter Nase. Malina Himbeere sieht ganz anders aus als der Clown aus meinen Kindheitszirkustagen. „Je mehr Schminke, desto größer die Distanz und Abgrenzung“, erklärt Ute Gilles. Sie ist eine von drei Vorständen beim MediClowns Dresden e.V., die Initiative dahinter. „Wir möchten authentisch arbeiten, da darfst du nur so wenig Rüstung wie möglich anlegen.“ Je offener und verletzlicher ein Clown wirke, desto authentischer, greifbarer und persönlicher sei er für die Kinder. „Ein maskierter, komplett zugeschminkter Clown macht vielen Kindern Angst. Wir möchten genau das Gegenteil erreichen.“

Hereinspaziert.

Wenn ein Clown am Sterbebett sitzt

Malina Himbeere öffnet die Tür zur Kinderstation. Begleitet wird sie von Frau Doro, die in rosa Bluse und Gardinenrock fast spießig daherkommt – wäre da nicht ihre rote Nase. Die Dresdner MediClowns treten immer als Duo auf. Dadurch vervielfacht sich das Spektrum an Spielmöglichkeiten. Die Paarungen ergeben sich immer spontan. Und dann wird improvisiert. Diese und andere Fähigkeiten werden intensiv geübt bei den Trainings, die alle 14 Tage auf dem Plan stehen. Workshops mit renommierten Coaches ergänzen den „Clownstundenplan“. Der erste in diesem Jahr widmet sich „Clowns und Tod“. So sollen die Scheu vor oftmals verdrängten Themen wie Endlichkeit, Abschied, Trauer und Tod abgebaut und die Clownsfiguren in neue Richtungen weiterentwickelt werden.

„Warum bist du allein im Zimmer, wo sind die anderen Kinder?“

Darauf der Junge:

„Ich liege hier, weil ich sterbe.“

Ein Clown am Sterbebett oder auf einer Beerdigung mag für Viele zunächst pietätlos erscheinen, kann jedoch für alle Beteiligten eine wunderbare, auch therapeutische Wirkung haben. Insbesondere durch ihre Arbeit auf der Onkologischen Station haben die MediClowns immer wieder Berührung mit kleinen, unheilbar kranken Patienten. Manchmal wissen sie um das Schicksal der Kinder, manchmal ahnen sie es, manchmal erwischt es die Clowns kalt. Ute Gilles erinnert sich: „Ich kam einmal in ein Sechsbett-Zimmer, in dem ein 10-jähriger Junge allein lag. Das bedeutete damals: Dieses Kind wird sterben. Mein Clown fragt: ‚Warum bist du allein im Zimmer, wo sind die anderen Kinder?‘ Darauf der Junge: ‚Ich liege hier, weil ich sterbe.‘ Ich als Ute bin vor Schreck rückwärts wieder raus, der Clown ist geblieben. Der Junge: ‚Clown, setze dich mal an mein Bett, ich muss dir was erzählen. Meine Mama, mein Papa und meine Geschwister wollen nicht, dass ich sterbe, aber ich muss nun mal sterben.‘ Der Clown hat eine Idee: ‚Erklär es ihnen doch mit einer Zeichnung, vielleicht verstehen sie es dann.‘ Daraufhin malt der Junge drei Bilder. Das erste: Himmel, Regenbogen, ein Tor. Alle halten ihn fest und weinen. Das zweite: Er fliegt in den Himmel mit Engelsflügeln. Alle stehen unten, weinen immer noch und winken. Das dritte Bild: Er sitzt oben auf der Wolke, die anderen unten am Tisch. Sie schauen nach oben, essen Kuchen und trinken Kaffee. Er winkt von oben herunter, sie winken zurück. Die Bilder haben wir für seine Eltern und Geschwister zusammengerollt und mit Schleifenband zusammengebunden. Der Junge: ‚Ich gebe sie ihnen nachher, wenn sie kommen. Dann wissen sie Bescheid und ich kann endlich in Ruhe sterben.‘ Am übernächsten Tag bin ich wieder hin und habe nach dem Kind gefragt. Der Pfleger: ‚Er ist heimgegangen, in der Nacht nach dem Clownsbesuch.‘ Auf der einen Seite war ich total froh, dass ich das begleiten durfte und dem Kind die Möglichkeit gegeben habe, selbst gehen zu können, nachdem die Eltern losgelassen hatten. Auf der anderen Seite hat es mich emotional wahnsinnig mitgenommen.“

„Wenn wir in der Not lachen können, ist das so heilsam wie nichts anderes.“

Lachen ist heilsam und nachhaltig

Nicht nur Kinder, auch Erwachsene erleben ein befreiendes Lachen am Lebensende als Erleichterung. Der MediClown Tomtom ist regelmäßig in Seniorenheimen unterwegs. Eines seiner Schlüsselerlebnisse in der Begegnung mit dem Tod hatte er allerdings mit einem 16- jährigen Mädchen. Über Jahre hinweg hatte er sie immer wieder besucht und war zu ihrem Lieblingsclown geworden. Als er wieder einmal auf die Station kommt, nimmt die Schwester ihn zur Seite: „In das Zimmer gehen Sie bitte nicht, das ist gerade ganz schlecht.“ „Was ist denn los?“, möchte Tomtom wissen. „Die Patientin stirbt. Die Eltern sind bei ihr, da braucht sie jetzt keinen Clown.“ Darauf Tomtom: „Aber vielleicht ja doch, ich habe sie die ganze Zeit begleitet.“ Die Schwester bleibt unnachgiebig. In dem Moment kommt die Mutter des Mädchens aus dem Zimmer, sieht Tomtom und freut sich: „Toll, dass du da bist, komm rein!“ Tomtom bleibt bis zum Schluss und wird sogar auf die Beerdigung eingeladen, allerdings nicht als Clown. Das ist auch möglich, wurde von den MediClowns aber bisher noch nicht praktiziert. Für die Zukunft ist es durchaus denkbar. Was bereits realisiert wurde, ist ein Clownsgastspiel auf der Abschiedsfeier eines Jungen. Ute Gilles hat es noch genau vor Augen: „Er wollte noch einmal mit seinen Freunden Geburtstag feiern, bevor er sterben würde. Kurzerhand zogen seine Eltern seinen eigentlichen Geburtstag, der noch weit weg war und den er nicht mehr erleben würde, vor. Es steig eine stimmungsvolle Party mit seinen Freunden, Klassenkameraden, der Familie und eben zwei Clowns. Die Bilder, die dabei entstanden sind – im Kopf und als reale Fotos – sind für die Eltern unbezahlbar und helfen immens bei der Trauerbewältigung.“ Wenn wir in der Not lachen können, ist das so heilsam wie nichts anderes. Der Tod ist ein einschneidendes Erlebnis, das oft starke Trauer auslöst. Was jedoch viel länger nachwirkt als die Trauer, ist das gemeinsame Lachen und die Wärme am Schluss. Ute Gilles: „Genau das möchten wir mit unseren Auftritten als Clowns auslösen.“

Zurück auf dem Flur der Kinderstation: Mit ihrer guten Laune sorgen Malina Himbeere und Frau Doro für Aufsehen. Luftballons werden aus Seifenblasen gezaubert. Frau Doros Arm mutiert zum Hebel für den „Aufpusteapparat“, der zunächst von Malina Himbeere bedient wird und dann von dem etwa zehnjährigen Kevin. Er ziert sich etwas, findet die Performance aber doch irgendwie amüsant. Genau wie seine Mutter, die von der langen Wartezeit genervt ist und der die unterhaltsame Abwechslung gut bekommt. Zwischendurch klettert Eule Uschi immer mal wieder aus ihrem Nest in Malinas Hose und gibt Kommentare ab. Mit einer La Ola verabschieden sich die Clowninnen von den beiden.

Mit roter Nase darf man fast alles

Die große Herausforderung für die Clowns ist, die Stimmung im Raum zu erspüren und dann spontan zu agieren. Eine etwa 14-jährige Patientin hat Besuch von zwei gleichaltrigen Freunden. Malina Himbeere ist fasziniert von dem höhenverstellbaren Bett: „Kannst du damit bis unter die Decke fahren?“ Die Blicke der Teenager sagen: „Oh Mann, ist das peinlich.“ Nach ein paar Minuten jedoch freunden sie sich mit Frau Doro an und fachsimpeln über die Qualität des Klinikessens. Immer wieder schaffen es die Clowns auf Augenhöhe mit den kleinen und großen Patienten zu interagieren. Drei, manchmal vier Stunden am Stück sind sie auf den Stationen ehrenamtlich unterwegs. Warum tun sie das? „Als Clown kann ich so sein, wie ich wirklich bin. Mit roter Nase darf man fast alles, es ist wie dein Alter Ego“, so Frau Doro. Malina Himbeere ergänzt: „Die meisten von uns brauchen das als Ausgleich zum anderen Teil ihres Lebens.“ Die Motivation kann ganz unterschiedlich sein. Ute Gilles: „Es gibt Menschen, die einfach etwas Gutes tun wollen. Andere finden darin eine Möglichkeit, sich ‚auf einer Bühne‘ auszuleben. Wieder andere waren von einer Krankheit betroffen und haben selbst erlebt, wie wichtig Humor bei der Heilung sein kann.“

Der 6-jährige Noah präsentiert stolz seine neue Eisspinne, die gleich in das Spiel miteinbezogen wird. Malina Himbeere: „Oh, jetzt habe ich aber Angst! Wohnt die etwa hier?“ Nebenan muss die13-jährige Anne in ein anderes Zimmer umziehen und ist davon alles andere als begeistert. Malina Himbeere hilft ihr beim Packen, macht Späßchen, platziert unauffällig einen Deko-Marienkäfer auf ihrem Kissen – und schon ist der Umzug nur noch halb so schlimm. Die 14-jährige Samira wird gerade von ihren Eltern und ihrem kleinen Bruder besucht. Warum nicht eine Spontanparty feiern? Ruckzuck wird das Zimmer mit Papierschlangen dekoriert. Dazu steigt Frau Doro immer wieder umständlich in Charlie- Chaplin-Manier auf einen Stuhl. Während ihrer Partyvorbereitungen fällt den Spaßmacherinnen auf, dass im Krankenhaus so einiges fehlt: ein Balkon, auf den man gehen kann; Pflanzen und Haustiere, ein Kühlschrank für kühle Limo. Ganz nebenbei gibt es für sie noch einen Türkisch-Crashkurs. Die Anwesenden kommen aus dem Lachen nicht mehr heraus. Als ich kurz danach das Klinikum verlasse, trägt mich dieses Lachen durch die nieselige Nacht.

ZUSATZINFOS

Die Ursprünge

Die Geschichte der heilenden Wirkung von Humor ist alt. So weiß man von Narren bzw. Harlekins im Mittelalter, welche die Leute ablenkten, während der Bader einen Zahn gezogen hat. Aus den 1920er Jahren gibt es Fotos, auf denen Pierrots zu sehen sind, die in Kinderheime gehen, um dort die Kinder zu unterhalten. Einen gewaltigen Schub erlebte die Klinik-Clown-Bewegung in den 1980er/90er Jahren durch den „Clownsarzt“ Hunter Doherty „Patch“ Adams, dem Robin Williams ein filmisches Denkmal gesetzt hat. In Deutschland hat das Thema vor allem durch Eckart von Hirschhausens Stiftung „Humor hilft heilen“ eine breite Öffentlichkeit erreicht.

Die Medi Clowns Dresden e.V.

Die Dresdner MediClowns wurden 1995 als ehrenamtlich arbeitender Verein von Evelyn Ledig-Adam gegründet. Aktuell treten 14 aktive Clowns regelmäßig einmal pro Woche in zwei Dresdner Kliniken auf – nach wie vor ehrenamtlich. Mit dabei sind eine Straßenbahnfahrerin, eine Altenpflegerin, ein Tontechniker, Psychologen, Ingenieure, Sozialarbeiter und eine Chemielaborantin. Ihr Alter: zwischen Ende 20 und Anfang 60. Wer sich zum Clown berufen fühlt und mitmachen möchte, ist gern gesehen bei den MediClowns.

Zum Weiter- und Nachlesen:

https://www.mediclowns-dresden.de
https://www.bububue.de
https://www.humorhilftheilen.de

Copyright Fotos:

MediClowns Dresden e.V.

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