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TRAUER neu denken

ist der Leitsatz des neuen Online-Trauerberatung-Angebotes der Malteser Hilfsdienste e. V. Dies wird ein Plädoyer für digitale Trauerbegleitung.

TRAUER neu denken

​Ich gebe zu, dass ich als professionelle Trauerbegleiterin (BVT/Bundesverband Trauerbegleitung) die digitalen Angebote zur Begleitung Trauernder, all die Chats und Foren, zwar zur Kenntnis genommen, aber mich nie ernsthaft mit ihnen beschäftigt habe. Wir Menschen sind analoge Geschöpfe, also hatte nur dieser Aspekt für mich Priorität und somit Wirksamkeit. OK, manchmal schütze ich mich vor zu viel Außenwelt-Input indem ich meine Vorurteile pflege. Schäme mich. Vielleicht entschuldigt meine Haltung, dass ich einer Generation angehöre, die nicht mit dem Smartphone in der Hand auf die Welt kam. Kein Digital Nativ, eher Digital Immigrant. Heute kann ich mir ein Leben ohne die Vielfalt der digitalen Möglichkeiten nicht mehr vorstellen; nehme das Handy sogar mit in den Wald – um meinen Hund wiederzufinden. Er ist taub und hat einen GPS-Tracker am Halsband.

Zur Revision meines „gepflegten“ Vorurteiles trägt ein Interview, mit Kian Bank bei.
Er ist Koordinator der Online-Trauerberatung des Malteser Hilfsdienst e. V. für die Region Hessen-Rheinlandpfalz-Saarland mit einem beeindruckenden Werdegang: Lehre zum Einzelhandelskaufmann, dann ein freiwilliges soziales Jahr in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderungen, danach eine Ausbildung zum Heilerziehungspfleger und Gestalttherapeuten. Dann hat Kian Bank, wie er selbst sagt, noch ein Studium für Management im Gesundheitswesen „draufgesattelt“. „Immer begegnete mir der Tod, die Trauer, die damit verbundenen Ängste und dieses Nicht-Wissen, diese Ohnmacht, wie damit gut und achtsam umzugehen ist,“ sagt er. „Denn schließlich geht es um unsere psychische Gesundheit, um unsere ganzheitliche Gesundung.“

Wenn Menschen sich für die Themen: Sterben, Tod und Trauer interessieren und sie zu ihrer Profession machen, gibt oft eine entsprechende Vorgeschichte. Kian Bank ist jung und, wie ich finde, fast gradlinig in seine Berufung gegangen. Er hatte kein frühes Trauer-Erlebnis, das ihn auf diesen Weg geführt hat – frei nach dem Motto: „Damals hätte ich einen Begleiter gebraucht, wie ich heute für Trauernde einer sein darf“. Und natürlich hat Kian Bank noch eine Ausbildung zum Trauerbegleiter (BVT) auf sein Studium draufgepackt und ist jetzt genau an dem Ort, an dem er anderen und sich guttut.

 

„Mehr als 900.000 Menschen sterben jährlich in Deutschland. Wenn jede*r Verstorbene*r auch nur acht bis 12 Menschen im engsten Umfeld, An- und Zugehörige, hatte und die Hinterbliebenen um sie oder ihn ein Jahr lang trauern, berührt das 10 Millionen Menschen unmittelbar. Deutlich mehr als 10 Prozent der Gesamtbevölkerung sind also stets von einem akuten Trauerprozess betroffen! Obwohl Trauer keine „Krankheit“ ist, die schnellstmöglich zu heilen wäre, sondern eine normale, eigentlich psychohygienische gesunde Reaktion auf eine Verlusterfahrung, gilt sie doch gemeinhin als „Störfall“ in einer Leistungsgesellschaft, in der alles auf Gelingen, Erfolg, Vitalität, Tempo, Belastbarkeit und „Funktionieren“ programmiert erscheint.“ (Wolfgang Weigand auf TRAUER NOW)

Bewusste Entscheidung für eine rein schriftbasierte Mail-Beratung

Via. Online-Trauerberatung erreicht Menschen in ihrer Trauer, die unsicher sind, an wen sie sich in ihrem Schmerz wenden können. Eine Trauergruppe vor Ort ist ihnen oft zu wenig diskret, das Leid der anderen, das viele tröstet, ist ihnen zu belastend, und dass sie auch in eine Einzelberatung gehen können, wissen viele nicht,“ sagt Kian Bank.  Deshalb reagieren wir auf einen schriftlichen Erstkontakt immer mit totaler Offenheit über uns, über mich, über die Person, die antwortet“, erklärt Bank. „Parallel beraten wir intensiv über alle weiteren digitalen und analogen Angebote. Es geht darum, die bestmögliche Unterstützungsmöglichkeit für den trauernden Menschen zu finden. So kann jede*r Trauernde selbst abwägen, was sich besser für sie, für ihn anfühlt.“

Via. garantiert eine Rückmeldung auf eine Erstanfrage innerhalb von 48 Stunden. „Zuerst haben wir über eine engere Taktung nachgedacht, aber wir wollen keinen Chat-Charakter mit schnellen Ping-Pong-Antworten,“ erklärt Kian. „Wir beschäftigen uns sehr intensiv mit dem Text der E-Mail und lesen `zwischen den Zeilen´, bevor wir antworten.“ Schon durch das Schreiben würde sich das ein oder andere für den Trauernden sortieren.

Alle Beratenden sind umfangreich für die Trauerberatung qualifiziert. Die Trauernden können konkrete Informationen abrufen, Fragen stellen, aber auch über einen längeren Zeitraum von einer Trauerberaterin, einem Trauerberater begleitet werden. Denn Trauer ist ein individueller Prozess und braucht Zeit.

Via. Online-Trauerberatung besteht insgesamt aus drei Modulen:

Neben der Online-Beratung bietet Via. auch einen ERINNERUNGSRAUM, der in Kürze online geht. Denn viele An- und Zugehörige, die um einen Menschen trauern, wohnen weit entfernt vom Beisetzungsort, wollen sich aber trotzdem mit ihren Erinnerungen, im tröstenden Kontext ihrer Freunde und Familien, austauschen.
In diesen geschützten RAUM FÜR ERINNERUNGEN können persönliche Fotos, Videos, Texte vom oder für den Verstorbene eingestellt werden. Diese digitalen Erinnerungs-Räume sind nur für die An- und Zugehörigen zugänglich und liegen auf geschützten Servern.

Noch im Entstehungsprozess ist der LERNRAUM, indem sich Menschen über Trauer, Trauerprozesse und den Umgang mit Trauer(nden) informieren können. „Auch hier arbeiten wir an einer innovativen Umsetzung,“ erklärt Kian Bank.

Neben dem Online-Projekt begleitet Kian Bank ehrenamtlich einen Stammtisch für Männer in Trauer – total analog. Diese Männer-Trauergruppe wird vom Hospiz Stuttgart organisiert. Männer trauern manchmal ein wenig anders (TRAUER NOW-Beitrag: Trauern Männer anders?)

Ich erinnere, in unserem Trauer-Café gab es kaum Männer und wenn, haben sie sich oft bei mir, beklagt, dass sie nicht zu Wort kommen, respektive sich nicht trau-er-ten es zu ergreifen. (Bitte einfach googeln: Männer-Trauer-Stammtisch, in ihrer Nähe: Postleidzahl genügt!).

 

Eigentlich ist es ein Trauerspiel, denke ich, wie unsicher wir immer noch sind, wenn wir einem Menschen in Trauer begegnen. Alle sprechen von Authentizität, aber je mehr wir uns bewusst bemühen authentisch zu sein, umso weniger sind wir es. Das spüren die Menschen, die uns brauchen. Denn es braucht unsere Achtsamkeit, Einfühlungsvermögen und unsere Bereitschaft aktiv zuzuhören und Zeit für gemeinsames Schweigen und Aushalten.

TRAUER NOW will auch noch auf ein Online-Trauer-Angebot für Jugendliche hinweisen:

„Hallo ich bin neu hier.
Ich habe vor fast einem Jahr meine Mama verloren.
Sie hatte Brustkrebs. Ich weiß nicht, wie mein Leben ohne sie werden soll.
Vermisse sie so sehr und es tut einfach nur weh.
Jetzt gibt es nur meinen Papa und mich und es ist immer so still im Haus.
Mein Problem ist, dass ich nicht weiß wie ich richtig trauern soll, weil es eigentlich mein Herz zerreißt, ich es aber nicht zeigen kann (…) könnt ihr mir bitte helfen…?“
Im Schutz der Anonymität eines Online-Forums gelingt es vielen Jugendlichen das erste Mal wirklich von ihrer Trauer zu erzählen und Worte für das Unaussprechliche zu finden. (Online Trauern und Erinnern LEITFADEN 2/2022/Stefanie Schulz)

 

 

Autorin: Gisela Zimmermann/Filmemacherin/Trauerbegleiterin

 

Ihr Ansprechpartner:

Kian Bank
Telefon: 0160 95813620
E-Mail: Kian.Bank2@malteser.org
www.schreiben-als-bruecke.de

 

Ein Ehrenamt macht das Leben reicher.
Dazu braucht es keine Helden.
Es braucht Herz!
Du machst den ersten Schritt, das reicht für den Anfang.
Alles weitere machen wir gemeinsam.
Fass dir ein Herz – und komm ins Ehrenamt!

 

Onlineberatungsstelle für Jugendliche und junge Erwachsene
www.youngwings.de  info@youngwings.de

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