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Trauer am Arbeitsplatz

Alle Gefühle wollen und sollen gelebt werden, doch gilt diese These auch für die Trauer am Arbeitsplatz? Geht es den Arbeitgeber oder den Kollegen überhaupt etwas an, wie es in uns aussieht? Oder brauchen wir genau das: Erkennende Zuwendung.

Trauer am Arbeitsplatz

„Gefühle wollen leben – auch das Gefühl der Trauer“, so lautet mein Leitspruch in meiner Arbeit als professionelle Verlust- und Trauerbegleiterin.
Alle Gefühle wollen und sollen gelebt werden, doch gilt diese These auch für die Trauer am Arbeitsplatz? Können wir in unserem Gefühlsleben strikt zwischen Arbeit und Privatleben trennen und geht es den Arbeitgeber oder den Kollegen überhaupt etwas an, wie es in uns aussieht? Trauer ist Privatsache.

Doch ist Trauer wirklich privat? Wie Sie fühlen, ist tatsächlich Ihre private Angelegenheit. Dennoch beeinträchtigt das Gefühl der Trauer Ihr gesamtes Leben. Es kann sich in Schlaflosigkeit, Konzentrationsstörungen und Erschöpfung äußern. Das wird die Trauernden vermutlich nicht nur in Ihrem Privatleben beeinträchtigen, sondern wird auch ihr berufliches Leben erschweren.

Woran merken wir, dass wir in Trauer sind?

Was ist Trauer, wann trauern wir? In der Fachwelt wird Trauer als eine Reaktion auf einen bedeutsamen Verlust und als Prozess im Finden des Umgangs mit diesem Verlust bezeichnet. Wir reagieren normalerweise mit Gefühlen wie Angst, Sehnsucht, Wut, Verzweiflung, Traurigkeit, aber auch Einsamkeit und Schuld auf den Verlust einer wichtigen Person.

Zum Umgang mit diesen Gefühlen kommen die Aufgaben hinzu, eine Beerdigung zu organisieren, den Verlust anzuerkennen und den alltäglichen Pflichten als Arbeitnehmer nachzukommen. All dies fordert uns als Mensch sehr. Es ist eine Ausnahmesituation, in der das Weiterleben eine Zeit lang gut funktioniert. Die Arbeit normalisiert das Leben, hilft den Tag zu strukturieren und lässt traurige Gedanken zur Ruhe zu kommen.

Was aber passiert, wenn die seelische Belastung überhandnimmt? Wenn sich Fehler einschleichen, die Konzentration nachlässt? Gibt es neben der Krankschreibung einen Ausweg, der uns den Arbeitsplatz und damit die soziale Sicherheit erhält? Gibt es in Zeiten der Trauer eine Lösung, die Arbeitgebern und Arbeitnehmern gleichermaßen gerecht wird?

Lösungsmodell: Transparenz

Es gibt diese Lösungsmodelle. Eins davon heißt Transparenz. Dafür sollten die Betroffenen ein offenes Gespräch mit dem Arbeitgeber suchen. Das ist nicht leicht und kann in einer Trauersituation zusätzlich belastend sein. Es bedeutet Pionier zu sein, wenn es bei dem jeweiligen Arbeitgeber bisher nicht üblich war, über private Gefühle zu reden. Im ersten Moment kann das eine zusätzliche Stresssituation sein. Trotzdem ist es eine gute Idee, das
Gespräch mit dem Chef zu suchen. Sie können sich zur Unterstützung eine Begleitung, einen Vertrauten oder einen professionellen Trauerbegleiter mitnehmen.

Konzepte – individuell wie Betriebe

Wenn dieser erste Schritt getan und das Problem auf dem Tisch ist, kann man etwas dagegen unternehmen. Die Methoden reichen von einer flexiblen Arbeitszeit bis hin zu einer kurzzeitigen Versetzung auf einen Arbeitsplatz, der weniger Konzentration erfordert. Je nach Betrieb und Arbeitnehmer können diese Maßnahmen variieren und sich der jeweiligen Situation anpassen.

Wir müssen auch die Frage in Betracht ziehen, wer der Mensch in Trauer ist und ob es sich um einen Arbeitsunfall handelt oder ob der ganze Betrieb von dem Geschehen betroffen ist?

Trauer in der Arbeit

Dazu ein Beispiel: Im letzten Jahr rief meine Tochter mich an und erzählte mir fassungslos, dass ihr Kollege auf dem Weg zur Arbeit tödlich verunglückt war. Diese Fassungslosigkeit hatte nicht nur von meiner Tochter Besitz ergriffen, sondern sich auch unter den Arbeitskollegen ausgebreitet.

Der Arbeitgeber meiner Tochter hatte die gesamte Situation zum Glück sofort begriffen. Er rief alle Mitarbeiter zusammen, erklärte ihnen, was geschehen war und gab ihnen Raum, sich auszusprechen. Er ließ diejenigen Mitarbeiter, die sich nicht in der Lage sahen, weiterzuarbeiten, nach Hause gehen.

Auch hatte der Arbeitgeber einen Ort zum stillen Gedenken eingerichtet. Hier konnten meine Tochter und ihre Kollegen ohne Zeitdruck und nach eigenem Ermessen in Stille Abschiednehmen.

Betrieblicher Notfall-Plan

In jedem Unternehmen sollte es eine Idee, einen „Notfall-Plan“ geben, wie mit diesen Situationen umgegangen werden kann. Darin sollte festgelegt sein, wie zu handeln ist, wenn ein Mitarbeiter verstirbt oder aufgrund von Trauer das Arbeitspensum nicht vollumfänglich leisten kann.

Neben der Klärung, wie der Betrieb mit den Angehörigen umgeht, sind auch die Fragen zu klären, was in dieser Zeit nötig und möglich ist, sowohl für den Arbeitgeber, als auch für Mitarbeiter.

Was bedeutet es für den Arbeitgeber, wenn der trauernde Mitarbeiter plötzlich länger krankgeschrieben wird? Was bedeutet es finanziell und bezogen auf die Arbeitsprozesse? Wer übernimmt die Arbeit der Person, die auf unabsehbare Zeit nicht zur Arbeit kommen kann? Ist es möglich, diese Arbeit auf Menschen zu übertragen, die die innerbetrieblichen Prozesse nicht kennen? Welche Aufgaben müssen in welchen Arbeitszeiten erledigt werden? Welche können aufgeschoben werden?

Auseinandersetzung mit diesen Fragen kommen im Trauerfall zu spät. In dieser Situation stehen Traurigkeit und die betrieblichen Bedürfnisse sich gegenüber. Entscheidungen, die während dieser Krise getroffen werden, sind oftmals falsch.

Instrumente der Trauerhilfe

Gibt es Instrumente, die trauernden Mitarbeitern zur Verfügung gestellt werden können? Und wenn ja, welche? In der Tat gibt es verschiedene Optionen. Neben der Flexibilisierung der Arbeitszeit oder einer kurzzeitigen Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz, kommen auch verlängerte Pausenzeiten, eine längere Auszeit oder Zeit für ein Gespräch mit dem Mitarbeiter in Betracht. Auch die Trauerbegleitung kann eine gute Stütze sein, im Einzelgespräch oder im Team.

Diese Fragen betreffen nicht nur die Arbeitnehmer, sondern auch den Betriebsinhaber. Wer lenkt und leitet das Unternehmen, wenn der Chef längere Zeit ausfällt? Wer kennt alle Passwörter oder hat Vollmachten und das Wissen um die derzeitige Auftragslage?

Letzte Fragen nicht zum Schluss!

Wie verhält sich der Betrieb nach außen, wenn ein Arbeitnehmer verstorben ist? Wird eine Traueranzeige in die Zeitung gesetzt? Und wenn ja, wie soll diese aussehen? Wird es eine Standardanzeige sein oder eine individuelle Anzeige? Wer geht mit zur Beerdigung? Ist vonseiten der Angehörigen gewünscht, dass die Kollegen mit zur Beerdigung gehen? Wer räumt auf und überbringt die persönliche Habe den Angehörigen? Und nicht zuletzt: Wie
geht der Betrieb mit der Neubesetzung des Arbeitsplatzes des Verstobenen um?

Alle diese Fragen sind aus meiner Sicht nicht allgemein zu beantworten und es bedarf einer genauen Analyse der Umstände und Bedürfnisse, die in einer kleineren Werkstatt anders sein werden als in einem größeren Betrieb.

Gefühle sind wie Dinosaurier

Manchmal hat es den Anschein, dass der trauernde Mensch „ganz gut“ durch die Trauer kommt. Oftmals ist das auch so. Die Trauer-Symptome können erst viele Monaten nach dem Verlust auftreten: Der betroffene Arbeitnehmer wird unkonzentriert, macht Fehler oder ist häufiger krank.

Hier gilt es mutig zu sein und Ihren Mitarbeiter oder Kollegen anzusprechen. Fragen Sie nach, reichen Sie dem Betroffenen Ihre Hand und zeigen Sie Verständnis und Mitgefühl. Denn Gefühle sind wie Dinosaurier, sie halten sich nicht an zeitliche Abläufe. Auch wenn wir „wissen“, dass der Mensch verstorben ist, weiß unser Gefühl das meist noch nicht.

Eva Kersting ist Trauerbegleiterin für Erwachsene u. Familien, Kunsttherapeutin, Lehrbeauftragte der Uni
Bonn; Modul: Trauer am Arbeitsplatz, Vorstandsmitglied im Bundesverband Trauerbegleitung e.V

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Wo bekommen Sie Hilfe:

Wenn Trauer keine Privatsache ist
https://www.rundumberatung.at/rundum/wp-content/uploads/2020/02/Trauerratgeber_2.pdf

Trauer am Arbeitsplatz
Unterstützung für Verantwortliche, Teams und Mitarbeitende
http://www.hamburger-gesundheitshilfe.de
http://www.hamburger-gesundheitshilfe.de/fileadmin/user_upload/hgh/downloads/Broschuere_Trauer_Ansicht.pdf

Für alle weiteren Fragen wenden Sie sich bitte an die Autorin:
Eva Kersting
www.facebook.de/lebenskunstkersting
info@lebenskunst-kersting.de

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