Eigentlich sieht der Haushalt sogar eine Kürzung der Gelder vor – ein Schritt, bei dem der unersetzbare Verlust eines vielfältigen Kulturguts in der sächsischen Landeshauptstadt drohen würde. Initiatorin der Petition ist das Netzwerk Dresdner Friedhofsverwalter. Lara Schink, Verwalterin der Dresdner Annenfriedhöfe und Sprecherin des Netzwerks, setzt sich für den Erhalt sowie die zukunftsfähige Weiterentwicklung der Traditionsorte ein. Im Gespräch mit ihr habe ich viel über die Einzigartigkeit der Friedhofskultur, Bestattungstrends und über das vermeintlich angestaubte Image klassischer Bestattungsarten erfahren. (Sarah Zinn interviewt Lara Schink)
SZ: Lara, du verwaltest in Dresden den Alten und Neuen Annenfriedhof. Was macht diese Orte so besonders für dich?
LS: Die besondere Mischung aus Ruhe, Kulturtradition und Veränderung. Auch nach Jahren entdecke ich immer wieder Neues auf dem Gelände, vieles ist in stetigem Wandel. Schon allein durch den Verlauf der Jahreszeiten. Gleichzeitig darf ich mich mit meinem Team um einen Ort kümmern, den Menschen zu schätzen wissen und auf dem Spuren vergangener Leben sichtbar werden.
SZ: Die Nachfrage nach klassischen Erdbestattungen nimmt stetig ab. Immer mehr Menschen entscheiden sich für eine Feuerbestattung, zunehmend auch anonym. Woher kommt dieser Trend?
LS: Oft möchte man den Hinterbliebenen die Grabpflege ersparen – weil diese zum Beispiel gar nicht mehr vor Ort sind. Oder es wird angenommen, dass Angehörige mit einem Grab auf dem Friedhof nichts anfangen können. Mein Eindruck ist, dass es innerhalb von Familien oft schwierig sein kann, über die Bedürfnisse rund um Tod und Trauer zu sprechen – oder sich in die Gefühlswelt der Mutter, der Geschwister oder der Großeltern hineinzuversetzen. Dabei wäre das wichtig, um die passende Bestattungsart auswählen zu können. Manche Menschen brauchen kein Grab auf einem Friedhof, um gut Abschied nehmen zu können. Anderen gibt dieser Ort wiederum großen Halt. Wir haben hier schon viel erlebt: Eltern, die das Grab für ihr ganz früh verstorbenes Kind über 50 Jahre hinweg pflegen und sehr regelmäßig da sind. Oder Hinterbliebene, die direkt fragen, ob man die Grabnutzung nur auf 5 Jahre festsetzen kann. Die Wahl der Bestattungsart hat für mich aber auch etwas mit Spuren-Hinterlassen zu tun. Meine Großtante war zum Beispiel eine sehr beeindruckende Frau, mit vielen Freunden und Bekannten. Da hätte eine anonyme Beisetzung gar nicht gepasst. Sie war immer sehr präsent und hat bei vielen Leuten Spuren im Leben hinterlassen. Und klar, die Gesellschaft wird immer anonymer. Aber gerade dann ist so ein Grab doch eine Chance! Nicht nur für die einzelne Person, sondern auch für Familien. Familiengräber werden immer seltener. Auch, weil viele Menschen gar nicht über diese Möglichkeit Bescheid wissen.
SZ: Viele Menschen begründen ihre Ablehnung gegenüber Friedhöfen damit, dass sie hier nicht so trauern dürften, wie sie es gern wollen. Es würde so viele Verbote und Einschränkungen geben.
LS: Ich sehe hier in erster Linie ein kommunikatives Problem. Es stimmt, auf dem Friedhof gibt es Regeln und Richtlinien. Aber dafür gibt es immer Begründungen. Man darf auch nicht vergessen, dass wir aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf die Friedhofsnutzung schauen: wir in der Verwaltung behalten das große Ganze im Auge. Die Grabnutzer fokussieren sich meist auf die für sie relevanten Plätze und haben dafür ganz eigene Vorstellungen. Da kann es zu Missverständnissen kommen. Wenn wir die Friedhofsordnung durchsetzen, kann der Eindruck entstehen, wir würden individuelle Ideen und Wünsche kritisieren.
SZ: Kannst du ein Beispiel geben?
LS: Wir diskutieren immer wieder mal über weißen Kies. Viele Menschen finden den schön und möchten die Grabflächen damit gestalten – wir müssen dann sagen, dass das bei uns nicht möglich ist. Aber das WARUM ist entscheidend: wir haben die Ästhetik des gesamten Geländes im Blick, unser Friedhof hat Gartendenkmalcharakter. Weißer Kies hat eine enorme Strahlkraft. Flächen, die damit gestaltet sind, haben also eine hohe Fernwirkung. Außerdem ist das Thema der Flächenversiegelung für uns wichtig. Wird viel Kies und Stein verwendet, funktioniert die natürliche Kühlung des Areals nicht mehr. Und durch die Versiegelung wird der Luft-Wasser-Austausch im Boden gestört, dieser ist aber wichtig für die Zersetzung der Leichname. Außerdem gehen durch fehlende Grünflächen wichtige Nahrungsoptionen für Insekten und Vögel verloren. Wir müssen viele Aspekte wie diese im Blick behalten und eine Friedhofsordnung gestalten, die für alle anwendbar ist. Gleichzeitig soll der Friedhof als schöner, grüner Begegnungsort erhalten bleiben. Das muss natürlich kommuniziert und erklärt werden.
SZ: Im Einklang mit diesen Einschränkungen können Grabflächen aber recht individuell gestaltet werden?
LS: Ich argumentiere immer so: auf dem Friedhof darf man viel mehr, als an jedem anderen Bestattungsort. Manche Menschen finden eine klassische Beisetzung spießig – und entscheiden sich für den Bestattungswald. Dieser wirkt frei und naturnah, der Friedhof erscheint altbacken. Das ist ein Imageproblem. Denn ein persönlich gestaltetes Grabmal aufstellen und den Ruheort individuell pflegen darfst du nur hier. Klar, es gibt Regeln – aber eigentlich lassen sie viel Freiraum für die Umsetzung.
Der Sinn einer Friedhofsordnung ist es nicht, Menschen einzuschränken. Es geht um Standsicherheit und darum, dass andere in ihrer Trauerarbeit nicht gestört werden. Wir wollen individuelle Lösungen ermöglichen! Das ist eine Beratungsfrage – Ich finde, viele Menschen nutzen die Möglichkeiten, die ein Friedhof bietet, gar nicht voll aus.
SZ: Und was hältst du von den Diskussionen zum Friedhofszwang?
LS: Ich finde es schwierig, wenn bei Bestattungen ein persönlicher Besitzanspruch ins Spiel kommt. Oft geht es bei den Debatten um den Friedhofszwang darum, dass Jemand die Urne mit nach Hause nehmen will. Ich erlebe so viele zerstrittene Familien. Dann steht die Urne irgendwo im Regal oder wird in einem privaten Garten beigesetzt – der Zugang ist dadurch limitiert. Es kann auch Menschen mit einem Wunsch nach Abschiednahme geben, die gar nicht zur Kernfamilie gehören. Freunde, Kolleginnen oder heimliche Liebschaften. Die Hürde, dann bei der Ehefrau zu klingeln oder ein privates Grundstück aufzusuchen, wäre enorm hoch.
Wir bekommen immer wieder Anfragen von Leuten, die bei einer Verabschiedung nicht dabei sein konnten. Ehemalige Schüler zum Beispiel, die einen verstorbenen Lehrer besuchen wollen. Manchmal sind Menschen auf der Suche nach einer Grabstelle einer verstorbenen Person, die schon seit 20 Jahren tot ist. Das zeigt den Bedarf an Trauerorten im öffentlichen Raum gut auf. Oft können wir gar nicht vordenken, wer um eine Person trauern wird.
SZ: Wenn wir den Blick auf die Zukunft der Friedhöfe richten – wohin führt der Weg?
LS: Friedhöfe müssen generell an ihrem Image arbeiten und sich weiterentwickeln. Angebote zum Beispiel zu Umweltthemen, Ausstellungen oder Führungen prägen das Bild der Friedhöfe in der Gesellschaft. So entsteht bereits ein Bezug zu diesen Orten, schon vor einem Trauerfall. Die Relevanz der Friedhöfe für das städtische Leben muss deutlich vielfältiger dargestellt werden. Allein das Thema Artenschutz kann Friedhöfe in einem ganz neuen Licht zeigen. Wir dürfen auch die Themen unserer Zeit nicht ignorieren. In Zeiten einer starken Mobilität sind 20 Jahre Ruhezeit zum Beispiel eine zu lange persönliche Verbindlichkeit für die Pflege. Vertragslaufzeiten in dieser Länge gibt es nur noch bei uns. Für Fragen dieser Art müssen wir Lösungen finden, die eben nicht nur anonyme Grabflächen sind.
Hinweis auf aktive Bürgerarbeit auf den Annenfriedhöfe, bei der eine aktive Beteiligung möglich ist: https://www.annenfriedhof-dresden.de/green-urban-labs-ii/
Sarah Zinn / www.zinneswandel.de
Autorin, Medienschaffende und Absolventin der PERIMORTALEN WISSENSCHAFTEN/Universität Regensburg