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„Trauerorte sind in erster Linie für die Lebenden da“

Der Trend ist eindeutig: Immer mehr Menschen wünschen sich wenig Pflegeaufwand bei der Bestattung ihrer Liebsten. Das Angebot der Friedhöfe ist entsprechend groß. Groß ist aber auch die Regelwut, die dann die Trauerarbeit der Hinterbliebenen auf diese anonymen oder halbanonymen Ruhestätten verhindert. Dass das auch anders geht, zeigen engagierte Bestatter wie David Roth.

„Trauerorte sind in erster Linie für die Lebenden da“
Friedhöfe sind Kraftspender. Viele Menschen finden hier neben Trost auch neue Kontakte zum Reden und Weiterleben. Das sollte gefördert und auch eingefordert werden.

Starre Regeln und Gesetze führen zu Blockaden in der Trauer-DNA

Am Ende steht die Blume in der Bodenvase. Der Gedenkstein wirft einen kleinen Schatten über das Grab. Mehr bleibt kaum übrig vom Abschied. Nur die Trauer. Unsichtbar und vielschichtig. Neben der Einsamkeit im realen Leben kommt spätestens dann die Einsamkeit im Herzen. Umso wichtiger ist es, den Verlust wieder in Lebenssinn zu verwandeln.

Das deutsche Friedhofswesen macht es den Verbliebenen aber gar nicht leicht, eine anständige Trauerarbeit zu leisten. Denn als „anständig“ gilt, was in den jeweiligen Landesgesetzen steht. Die sächsische Fassung versammelt dazu beispielsweise auf dreizehn Seiten 26 Paragraphen, 30 Fußnoten und weitere vier Anlagen. Dazu kommen die kommunalen Friedhofssatzungen, die von Öffnungszeiten über Fotografie-, Fahrrad- und Haustierverboten bis zur Gestaltung der Grabstätten alles weitere Wichtige für den Umgang der Trauernden mit dem Tod vorschreiben.

Ein Spaziergang über Friedhöfe zeigt: Es geht oft um Landschaftspflege, selten ums Abschiednehmen. Grab, Grab, Weg, Baum, Grab, Grab – gezirkelte Abstände, Pflanzenbeschnitt mit der Schablone und Verordnungen und Vorschriften für nahezu alles. Individualität hat da keinen Platz. Und über allem liegt eine bleierne Stille, mit der der Tod das Leben generell in Frage zu stellen scheint.

Gut zu sehen ist das am Trend der vergangenen Jahre: halbanonyme oder gänzlich anonyme Grabfelder. Sie sind aus dem verstärkten Wunsch der Kund*innen nach pflegefreien Bestattungsformen entstanden. Außer vielleicht einem Namen an einem gemeinsamen Hinweisschild findet sich dort aber kein Bezugspunkt zu den Verstorbenen. Das führt zu einer paradoxen Situation. Viele Besucherinnen und Besucher ermitteln nachträglich den ungefähren Ort der Urne im Grabfeld und legen dort Blumen oder sonstige Mitbringsel ab. „Ist das eigentlich erlaubt?“ Die deutscheste Antwort auf die deutscheste aller Fragen lautet natürlich: Nein! In der Folge sammeln Friedwald- oder Friedhofsgärtner alles wieder ein und entsorgen die Trauerbezeugungen mit hohem Schwung in den Kompost.

Verboten. Das Ablegen individueller Trauerbezeugungen ist auf den meisten Friedhöfen nicht gestattet. Grabschmuck wird durch die Friedhofsgärtner auf dem Kompost entsorgt. Bei „Wiederholungstätern“ droht sogar Hausverbot.

Der Trendforscher Matthias Horx ermittelte in seiner 2018 veröffentlichten Zukunftsstudie zur Trauerkultur, dass „weder die Gestaltung noch die Funktionsweisen des traditionellen Friedhofs den tatsächlichen, tiefer liegenden Bedürfnissen und Notwendigkeiten einer gelungenen Trauerarbeit gerecht werden.“ Der Friedhof sei für viele Menschen zu einem Ort der Verbote, der Regeln und der hohen Kosten geworden und wird von 40 Prozent der Bevölkerung nur noch aufgesucht, weil sie es als gesellschaftlich opportun erachten. Die letzte Person, die den Autor gefragt hat, ob er einfach mal so auf einen Friedhof mitkommen möchte, war ein Gothic in der 8. Klasse. Aber selbst der war damals schon eine Minderheit.

Dabei hat sicher niemand etwas gegen pietätvolle Ruhe, saubere Wege und Gräber. Viele Besucherinnen und Besucher wollen hier den existenziellen Einschnitt eines Todesfalls verarbeiten. Der kommt oft genug zu plötzlich und trifft bis ins Mark. Ungewissheit, Unsicherheit und der Verlust eines vertrauten Menschen schlagen hohe Wellen im Kopf. Ablenkung empfinden die meisten dann als weiteren Störfaktor. Im Resultat einigt sich der Gesetzgeber auf den kleinsten gemeinsamen Nenner: Also gezirkelte Abstände, Pflanzenbeschnitt mit der Schablone und Verordnungen und Vorschriften.

Momentan heißt es da, sich zu arrangieren oder ein Bestattungsunternehmen auszuwählen, welches die Wünsche der Kunden nach individueller Trauerarbeit ernst nimmt, neue Wege geht und dafür Lücken in den Regelwerken nutzt. Einer, der das schon vor 30 Jahren tat, und damit teils für Aufregung in seiner Zunft sorgte, war der Bestatter Fritz Roth aus Bergisch-Gladbach. Er setzte sich immer dafür ein, den Tod zurück ins Leben zu holen und stellte die Hinterbliebenen in den Mittelpunkt. Sein Sohn David und seine Tochter Hanna führen das Familienunternehmen heute fort und vermitteln die Themen Sterben, Tod und Abschied zusätzlich in der privaten Trauerakademie und der Fritz-Roth-Stiftung „Trauer ist Liebe“.

„Wir sehen in unserer täglichen Arbeit, wie viele Menschen die Lust an dem Thema zu verlieren drohen. Dabei ist Trauer absolut wichtig“, erklärt David Roth das Dilemma auf deutschen Friedhöfen. Dort sei aufgrund strikter Verordnungen von der individuellen Trauer der Hinterbliebenen kaum etwas zu sehen.

Nur ein Namensschild verweist auf die Toten – individuelle Grabgestaltung sind durch Friedhofsordnungen in der Regel komplett untersagt.

„Auf unserem eigenen Friedhof gibt es deshalb keine Verbotsschilder. Das heißt, die Hinterbliebenen dürfen ihren persönlichen Gedenk-Ort gestalten und schmücken, so wie sie es selbst für richtig halten und nicht wie ihnen es eine Friedhofsordnung vorschreibt.“

Außerdem sucht David Roth zum Wohle der Menschen, die ihre Verstorbenen in seine Obhut geben, das Gespräch mit den Verantwortlichen anderer Friedhöfe. Dabei gehe es darum, das Vertrauen der Verwaltung zu gewinnen. Dann seien auch Extrawünsche möglich. „Bestattung ist nicht nur Handwerk. Wir helfen den Menschen mit einem schmerzhaften Verlust zurechtzukommen und das ist nur eingeschränkt möglich, wenn Paragraphen am Trauern hindern. Als Bestatter sind wir doch in erster Linie für die Lebenden da.“

Bestatter David Roth sieht aber auch Fortschritte. Auf manchen Friedhöfen sind in jüngerer Zeit beispielsweise Bilder der Verstorbenen oder ungewöhnliche Grabinschriften erlaubt. Zum Teil gibt es offizielle Feste und Musikveranstaltungen. Auf seinem eigenen Gelände befindet sich sogar ein Waldkindergarten. Andere Friedhöfe sind zudem schon immer als große innerstädtische Parks angelegt gewesen und laden auch weiterhin zum Spazieren ein.

Die jahrzehntelange Strategie der Friedhöfe, den Hinterbliebenen die Trauer mit teilweise sinnlosen Vorschriften zu erschweren oder diese gar zu verhindern, muss überdacht werden. „Gestorben wird immer“, sagt eine alte Volksweisheit. Aber man muss ja nicht bestatten wie immer. Also weniger Dienst nach Vorschrift!

Hier sind die Gesetzgeber in den einzelnen Bundesländern gefragt, um mit maßvollen Änderungen in den fast hundert Jahre alten Bestattungsgesetzen die notwendige Lebensnähe herzustellen. Das Bedürfnis der Menschen, ihre Trauer in neuen Lebenssinn zu verwandeln, ist eine tiefenpsychologische Konstante und bleibt auch in der modernen Gesellschaft ungebrochen. Ob als Blumenvase am Grab, als Bronzefigur im Vorgarten oder Windspiel im Friedwald – es braucht verbindliche Orte. Aber dafür weniger Vorschriften und mehr Toleranz.

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