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Innen Asche, außen Blüten

Die Künstlerin Ina H. gestaltet Urnen mit Papier. Sie will Räume schaffen: für Trauer und um der Vergänglichkeit aktiv zu begegnen. Doch erschüttern Sterben und Tod das Lebensgefüge. Was soll ein bisschen Papier daran schon ändern? Ein Besuch im Atelier.

Innen Asche, außen Blüten

© Foto: Therese Walther

Wussten Sie, dass sie die Urne für einen geliebten verstorbenen Menschen selbst gestalten könnten? Wie würde sie aussehen und wie würde sie sich anfühlen in Ihren Händen? Was spüren Sie bei dem Gedanken?

Ina H., blaue Cordhose, orangenes Halstuch, hatte das Papier Tausende Male in der Hand. Sie zog es gerade aus einer der vielen Schubladen unter ihrer Werkbank. Zwischen Daumen und Zeigefinger spürt sie die Textur, das Geräusch dabei ist warm. Um die Struktur des Papiers zu zeigen, hält sie den Bogen gegen das Licht der Deckenleuchte. Das handgeschöpfte Papier aus Nepal ist dick und weich. Feine Frühlingszweige mit roten und gelben Blüten und Knospen sind darauf. Ina H. arbeitet mit einem Stoff, der vergänglich ist. Irgendwann wird er mit der Asche eines Menschen vergraben.

„Freundliche“ Urnen

In ihrem Atelier liegen und stehen auf allen Flächen getrocknete Pflanzen, Papiere und Urnen. In einer Wandaussparung sitzt ein kleiner feuerspuckender Drache. Zwischen Trockenblumen, Keksen und Kaffeekanne steht auf dem Tisch eine Karte des südafrikanischen Künstlers William Kentridge. Eine dunkle Skizze, als liege ein Kohleschleier darüber. Sie zeigt eine Figur, die auf einem leeren Hügel steht. Darüber steht: „Her absence filled the world.“

Während wir sprechen, holt Ina H. aus einer anderen Ecke einen Miniatur-Totenkopf und fragt, was mit dem nicht stimmen würde. „Ich hatte lang überlegt, warum der komisch aussieht … Ein Totenkopf hat keine Ohren! Die sind doch weggegammelt“, sagt sie und lacht.

Von einem erwachsenen Menschen bleiben um die drei Liter Asche. Sie wird in der Aschekapsel im Inneren der Urne luftdicht verschlossen. Ihre Urnen nennt Ina H. „freundlich und sympathisch“. Eine Auswahl präsentiert sie auf weißen Podesten. Die Modelle heißen Pfauenauge, Lavendel oder Wiesenblumen. Sternenhimmel heißt ein kleineres Modell für Kinder. Es ist tiefblau mit kleinen hellen Punkten.

Im Raum brennt immer ein kleines LED-Licht, einem Kerzenhalter nachgeahmt. „Zum Erinnern“, sagt Ina H. „Früher war es noch eine Kerze, aber irgendwann hatte ich Angst, dass mir das Atelier abfackelt.“

© Foto: Therese Walther

Der Prozess

Früher arbeitete Ina H. vor allem mit Bewegtbild. Zeit und Veränderung haben damals schon eine Rolle in ihren Werken gespielt. In einem Projekt dokumentierte sie fallengelassene Gegenstände wie Plastikgabeln.

Sie sei gerade Mutter geworden, als sie begann, sich mit Vergänglichkeit zu beschäftigen. „Ich hatte das Gefühl, ich grabe und kaum habe ich was freigelegt, wird es von anderer Seite wieder zugeschaufelt“, sagt sie. Sie begann, Karten für ein Hamburger Hospiz zu entwerfen und machte eine Fortbildung zur Trauerbegleiterin.

Heute ist Ina H. 61 Jahre alt. Sie sitzt am Holztisch und betrachtet den Bogen Papier mit geneigtem Kopf. Stück für Stück reißt sie es vorsichtig ein. Wenn sie innehält, zuckt ihr Mund leicht. Sie reißt in eine andere Richtung des Musters weiter, bis sie ein Teil abgetrennt hat. Den Zellulosekleber verteilt sie auf einem Teller. Es sei reine Zellulose ohne irgendwelche Zusätze. Mit einem Pinsel wischt sie hindurch, bis dessen dunkelgrüne Haare glänzen. Sie pinselt das Stück Papier ein, um es auf den Deckel der Urne zu kleben. Während Ina H. arbeitet, hört sie oft Podcasts, wischt mit klebrigen Fingern über ihr Tablet. Am Ende des Tages geht sie ins Nachbarhaus zum Tanzen.

© Foto: Therese Walther

„Ich versuche ihre Farben zu lesen“

Bestatter haben ihre Urnen im Sortiment und Ina H. zeigt sie auf Messen. „Ich sehe mich aber in erster Linie nicht als Lieferin für die Bestattungsindustrie“, sagt sie, „obwohl ich das natürlich bin.“ Sie sei als Künstlerin beauftragt, mit Menschen zu sprechen. „Ich versuche, freundlich zu leiten. Ich öffne Schubladen, zeige die Papiere und Muster. Ich versuche ihre Farben zu lesen.“

Der Prozess sei individuell. Zum Beispiel habe sie eine Urne mit einer Frau gestaltet, die dazu selbst nicht mehr in der Lage war. Sie trafen sich, haben gemeinsam überlegt. Ina H. schickt im Prozess immer wieder Fotos an die Frau, der es wichtig ist nah dran zu sein. „Und ich habe die Form gefunden, als Handlangerin.“

Einmal reiste ein Mann aus Berlin an. Er suchte eine Urne für seine verstorbene Frau. „Danke. Das hat mich gerettet“, habe er später gesagt. Oder da war eine Papiermacherin, deren Mann starb. Sie schöpfte das Papier für die Urne selbst und arbeitete Teile von Wespennestern aus ihrem Garten ein. Sie und Ina H. hatten sich auf einer Messe kennengelernt. Ina H. bekam auch Anfragen für eine Urne mit Pferdekopf oder eine in den Farben des Fußballclubs FC St. Pauli.

An der Seite einer Schrankwand kleben ausgedruckte E-Mails. In einer Mail schreibt jemand, dass er bei der Beisetzung die Urne eine Weile in den Händen gehalten habe.

Tod, Trauer und Neugierde

Im Atelier hängt eine „Bibliothek der Formen der Natur“, so nennt Ina H. ihre Sammlung. Gläser mit Knospen, Blättern und Samen und Resten der Wespennester. „Ich finde das spannend, ich bin ja auch ein Organismus. Ich versuche, mich mit verschiedenen Dingen zu verbinden und suche nach Gemeinsamkeiten … Mit Würmern und Maden habe ich noch nicht gearbeitet … aber es ist allein der Versuch, freundlich dem gegenüber eingestellt zu sein.“ Vielleicht nehmen die Urnen damit die Berührungsangst, weil sie nicht mehr kühl wirken, sobald Strandfunde oder Knospen eingearbeitet sind.

Viele Menschen hätten sich nicht mit Bestattungen beschäftigt, hätten ein verzerrtes Bild, auch wenn sich das langsam ändere. „Viele haben totalen Horror davor, dass der Körper in der Erde vergammelt. Natürlich spielen Tiere und Organismen da eine Rolle. Aber ich bin auch ein Organismus. Ich könnte mich also in guter Gesellschaft fühlen.“ Und wer habe schon mal einen Toten gesehen oder ein Krematorium von innen? Da sei noch viel Luft, Dinge zu erfahren und zu wissen. Damit offener umzugehen sei eine Bereicherung.

Vor den Fenstern zum Innenhof stehen neben Pflanzen mexikanische Zuckertotenköpfe. Daneben ein fingerlanger Sarg aus Ton: „Da ging es um Humor und Tod.“ Ina H. meint eine Veranstaltung vom Netzwerk Trauerkultur, das sie 2016 mitgegründet hat. Das Netzwerk organisiert unter anderem Death Cafés in Hamburg. Ein Event, bei dem Menschen bei Kaffee und Kuchen spontan und frei über den Tod sprechen können. Wer vorbeikommen möchte, muss einfach nur interessiert sein, mehr nicht.

Bilder der Verwandlung

Natürlich sei Ina H. auf Bestattungen gewesen, für die sie die Urne gestaltet hat. „Es schließt sich ein Kreis. Dafür ist das Ding gemacht. Ich habe nie gedacht, dass Dinge, die ich gemacht habe, lange überleben müssten.“

Dann erzählt sie von einer Beerdigung, auf der Angehörige Leuchtfeuer zündeten. „Das war toll, wie der Rauch sich aufgelöst hat. Wie er vorbeizog und sich langsam auflöste und woanders hinging. Es gibt schöne Bilder für Verwandlung, wenn ein ganzes System an Familie und Freunden sich neu formieren muss, weil jemand fehlt, gestorben ist.“

Auf die Frage, wie sie bestattet werden möchte, spricht Ina H. etwas leiser: „Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht genau …“ Sie überlegt und sagt schließlich: „Ich erkunde noch.“

 

 

Autor: Merlin Menze entwickelt, koordiniert und verwirklicht Recherche- und Erzählprojekte für Organisationen, Medien und Projekte. Er studierte in Bremen, Lissabon und Kiel Politik- und Kulturwissenschaft und interdisziplinäre Nachhaltigkeit. Oft bewegt er sich an Schnittstellen investigativer Recherchen und den Geschichten der Menschen, in all ihren Facetten. Seine Schwerpunkte sind Themen rund um Gesellschaft und Ungleichheit sowie Wissenschaft und Umwelt.

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