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„Friedhofsgeschichten – Henning“ ⑥

Unsere Autorin, Louise Brown war bis zum Tod ihrer Eltern nie auf dem Friedhof. Als Trauernde und später als Trauerrednerin lernte sie den Friedhof erst kennen – dann schätzen. In dieser Folge begleitet sie den Steinmetz und Bildhauer Hennig Hammond-Norden auf den Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg zu seiner Familiengrabstätte und zum Grab seiner Frau.

„Friedhofsgeschichten – Henning“ ⑥
© Louise Brown
Ich zeige Ihnen jetzt die drei Orte meiner Trauer. Im „Garten der Frauen“ – ein Ort der Erinnerung mit historischen Grabsteinen von Gräbern bedeutender Frauen – steht der Grabstein meiner Mutter. Erna Hammond-Norden war eine kluge, weltoffene und mutige Frau. An unserer Familiengrabstelle wollte sie nicht begraben werden. Sie nannte sie „steingewordene Großmannssucht.“ Für mich ist das Grab ein Zeichen der Steinmetzkultur. Unsere Firma war um die Jahrtausendwende sehr bekannt. Mein Großvater hat Steinmetzarbeiten an der Nikolaikirche und an der Hamburger Börse gemacht.

Am „Rosengarten“ befindet sich unser Familiengrab von 1896. Unsere Familie hat vor längerer Zeit das Grabmal aufgegeben. Vor einigen Jahren wurde es in Patenschaft* vergeben. Leider hat die Patin die Grabschriften meiner Familie widerrechtlich entfernen lassen, darunter den Namen meines Vaters und Großvaters. Als Wiedergutmachung haben wir einen Gedenkstein in der Nähe der Familiengrabstelle bekommen, auf dem die Namen der Bestatteten zu lesen sind, die durch die Umgestaltung des Familiengrabmals verschwunden waren.

© Louise Brown
An der „Kapelle 1“, befindet sich unsere Grabstätte. 1991 haben meine Frau und ich die Patenschaft dafür übernommen. Das Grab gehörte einer jüdischen Familie, die Kohn-Rosenfeldts und stammt aus dem Jahr 1884. Hier liegt meine Frau. Meine Großeltern, Schwiegereltern und Tante sind hier „in memoriam“, das heißt, ihre Namen befinden sich hier, ihre Grabstätten gibt es aber nicht mehr.
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* Grabmal-Patenschaften: Seit 1995 wurden auf dem Hamburger Friedhof Ohlsdorf rund 400 Grabmal-Patenschaften vergeben. Die historischen Grabmale wurden von den alten Familien aufgegeben und sind Grab-Antiquitäten. Es finden sich darunter Engel, Skulpturen, Symbole, Materialien oder Inschriften. Die dazu gehörende Grabstätte kann für Beisetzungen genutzt und der neue Name auf den alten Stein gesetzt werden. Aber es gibt auch Pflichten beim Erwerb: Das Grabmal darf nicht versetzt werden. Wird es restauriert, ist der alte Name ist dann auf der Rückseite zu lesen. Wenn gewünscht, gehört ein Beet dazu, wie beim Grab für Jan Fedder. Der Grabstein bleibt Eigentum der Friedhöfe. Der Pate trägt so dazu bei, ein Stück Kulturgeschichte zu bewahren.

„Ich habe eine Grabstätte erworben.“

Die Patenschaft für das Grab haben meine Frau und ich erworben, als wir nicht an den Tod dachten. Eines Tages kam ich nach Hause und sagte: „Ich habe eine Grabstätte erworben.“ Sie sagte: „Das ist ja entsetzlich!“ Elke fand es aber schön, dass die Familie hier versammelt ist. Wenn wir zusammen am Grab waren, war sie gefasst und neutral. Sie mochte den Spruch darauf: „Liebe und Frohsinn verband die verwandten Seelen im Leben. Und ihr Sterbliches deckt dieser gemeinsame Stein.“

Woran ich am Grab denke? Immer dasselbe: Warum musste es so sein? Elke ist mit 72 gestorben, sie wurde so alt wie ihre Mutter.

© Louise Brown
Elke wurde 1941 in Hamburg geboren. Sie wuchs im Hamburger Stadtteil Groß-Borstel auf. Ihr Vater war Textilvertreter, ihre Mutter Sekretärin. Sie hatte keine Geschwister. Wenn ich sie ärgern wollte, nannte ich sie „verwöhntes Einzelkind“. Sie hatte eine enge Bindung zu ihrer Großmutter. Elke hat immer schon gerne gezeichnet. Als Kind sagte man zu ihr: „Du wirst Künstlerin“. Mit „Künstlerin“ hatte sie aber nichts am Hut. Sie hatte eine grandiose Begabung zum Zeichnen, aber sie hat sich vieles nicht zugetraut. Nach der Mittelschule lernte sie grafische Zeichnerin. Danach arbeitete sie in einer Werbeagentur.

Ein gefülltes, gemeinsames Leben.

1959 haben wir uns kennengelernt, in einem Kursus fürs Malen von Schriftzeichen. Ich war der Lustige. Sie hat mich inspiriert. Wir wohnten nicht weit voneinander und sind oft mit der Straßenbahn zusammen nach Hause gefahren. 1964 haben wir geheiratet.

1965 und 1968 wurden unsere Töchter geboren. Als Mutter war Elke hingebungsvoll, dafür in Maßen streng. Wenn eine Tochter drei Wochen Hausarrest hatte, war das bei ihr nach einer Stunde vorbei. Sie war die Göttin der Inkonsequenz. Wir sind als Eltern viel auf die Kinder eingegangen. Weihnachten waren wir ihretwegen bei einem Reggae-Konzert.

Elke war offen, freundlich und beliebt bei Freunden. Sie ging schnell auf Menschen zu. Wir hatten ein liebevolles Verhältnis miteinander. Nur den Humor, den hat sie nicht unbedingt mitgebracht.

Als die Kinder groß waren, hat sie in meinem Steinmetzbetrieb gearbeitet. Sie war eine geniale Verkäuferin. Sie hat den Erstkontakt hergestellt, aber den Entwurf sagte sie immer, den macht mein Mann. Wir haben uns gegenseitig den Rücken freigehalten. Wir konnten gut Ideen besprechen. Sie hatte ein gefestigtes Urteilsvermögen und ich habe ihre Abbildungen bewundert.

In unserem Wochenendhaus in Dithmarschen sind wir abends gerne Rad gefahren. Elke war aber lieber in der Stadt. Sie hat ihre Freundschaften aus ihrer Jugend gepflegt.

Das Grab ist Erinnerung und Geschichte.

Wir haben einige Fernreisen zusammengemacht, nach Ägypten und Marokko. Elke war immer zufrieden, wenn sie etwas Schönes in der Architektur oder Natur entdeckt hat. Sie mochte zeitgemäße Kunst. Sie las Belletristik. Sie war eine starke Raucherin und hat gerne geraucht.

Elke war eine aufopfernde Großmutter. Sie hatte eine große Liebe für ihre Enkel. Sie war viel großzügiger als ich. Jetzt kommt etwas von dieser Liebe an mich zurück.

2013 hatte sie Schmerzen im Unterbauch. Es wurden Tumore in der Leber und im Darm festgestellt. Als sie operiert wurde, fragte sie: „Konnten Sie die Bösewichte entfernen?“ Nach drei Wochen war sie tot. Sie wusste, dass sie sterben würde und sie war niedergeschlagen. Ich habe diese Zeit gehasst. Sie wusste aber auch, dass ich nach ihrem Tod alles gut regeln würde.

Warum ist uns die Grabstelle so wichtig? Das Grab ist Erinnerung und Geschichte. Der zentrale Punkt der Emotion. Die Grabstätte ist die letzte Verbindung zwischen den Lebenden und den Toten. Die Trauer um die Person ist mit dem Stein verbunden. Der Stein ist eine Tür zur Erinnerung.

Warum habe ich als Steinmetz nicht selbst einen Grabstein für uns geschaffen? Ich bin mit dem Grabdenkmal zufrieden, da ich es mein Leben lang geliebt habe. Schon als Schüler, als ich für die Firma Hammond-Norden gearbeitet habe, bin ich an ihr vorbeigekommen. Die Hammond-Nordens sind zudem auf dem Friedhof schon gut vertreten. Wie viele Grabstätten soll es noch von uns geben? Da braucht es keine neue.

 

Autorin: Louise Brown, geboren 1975 in London, ist Journalistin und auch als Trauerrednerin in Hamburg tätig. Dort moderierte sie das erste ›Death Café‹. In ihrem PodcastMeine perfekte Beerdigung‹ spricht sie mit Menschen darüber, wie sie einmal verabschiedet werden wollen. 2021 erschien im Diogenes Verlag ihr Buch ›Was bleibt, wenn wir sterben‹, 2023 ihr Trauerjournal ›Was bleibt, wenn wir schreiben‹.

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