Am „Rosengarten“ befindet sich unser Familiengrab von 1896. Unsere Familie hat vor längerer Zeit das Grabmal aufgegeben. Vor einigen Jahren wurde es in Patenschaft* vergeben. Leider hat die Patin die Grabschriften meiner Familie widerrechtlich entfernen lassen, darunter den Namen meines Vaters und Großvaters. Als Wiedergutmachung haben wir einen Gedenkstein in der Nähe der Familiengrabstelle bekommen, auf dem die Namen der Bestatteten zu lesen sind, die durch die Umgestaltung des Familiengrabmals verschwunden waren.

„Ich habe eine Grabstätte erworben.“
Die Patenschaft für das Grab haben meine Frau und ich erworben, als wir nicht an den Tod dachten. Eines Tages kam ich nach Hause und sagte: „Ich habe eine Grabstätte erworben.“ Sie sagte: „Das ist ja entsetzlich!“ Elke fand es aber schön, dass die Familie hier versammelt ist. Wenn wir zusammen am Grab waren, war sie gefasst und neutral. Sie mochte den Spruch darauf: „Liebe und Frohsinn verband die verwandten Seelen im Leben. Und ihr Sterbliches deckt dieser gemeinsame Stein.“
Woran ich am Grab denke? Immer dasselbe: Warum musste es so sein? Elke ist mit 72 gestorben, sie wurde so alt wie ihre Mutter.

Ein gefülltes, gemeinsames Leben.
1959 haben wir uns kennengelernt, in einem Kursus fürs Malen von Schriftzeichen. Ich war der Lustige. Sie hat mich inspiriert. Wir wohnten nicht weit voneinander und sind oft mit der Straßenbahn zusammen nach Hause gefahren. 1964 haben wir geheiratet.
1965 und 1968 wurden unsere Töchter geboren. Als Mutter war Elke hingebungsvoll, dafür in Maßen streng. Wenn eine Tochter drei Wochen Hausarrest hatte, war das bei ihr nach einer Stunde vorbei. Sie war die Göttin der Inkonsequenz. Wir sind als Eltern viel auf die Kinder eingegangen. Weihnachten waren wir ihretwegen bei einem Reggae-Konzert.
Elke war offen, freundlich und beliebt bei Freunden. Sie ging schnell auf Menschen zu. Wir hatten ein liebevolles Verhältnis miteinander. Nur den Humor, den hat sie nicht unbedingt mitgebracht.
Als die Kinder groß waren, hat sie in meinem Steinmetzbetrieb gearbeitet. Sie war eine geniale Verkäuferin. Sie hat den Erstkontakt hergestellt, aber den Entwurf sagte sie immer, den macht mein Mann. Wir haben uns gegenseitig den Rücken freigehalten. Wir konnten gut Ideen besprechen. Sie hatte ein gefestigtes Urteilsvermögen und ich habe ihre Abbildungen bewundert.
In unserem Wochenendhaus in Dithmarschen sind wir abends gerne Rad gefahren. Elke war aber lieber in der Stadt. Sie hat ihre Freundschaften aus ihrer Jugend gepflegt.
Das Grab ist Erinnerung und Geschichte.
Wir haben einige Fernreisen zusammengemacht, nach Ägypten und Marokko. Elke war immer zufrieden, wenn sie etwas Schönes in der Architektur oder Natur entdeckt hat. Sie mochte zeitgemäße Kunst. Sie las Belletristik. Sie war eine starke Raucherin und hat gerne geraucht.
Elke war eine aufopfernde Großmutter. Sie hatte eine große Liebe für ihre Enkel. Sie war viel großzügiger als ich. Jetzt kommt etwas von dieser Liebe an mich zurück.
2013 hatte sie Schmerzen im Unterbauch. Es wurden Tumore in der Leber und im Darm festgestellt. Als sie operiert wurde, fragte sie: „Konnten Sie die Bösewichte entfernen?“ Nach drei Wochen war sie tot. Sie wusste, dass sie sterben würde und sie war niedergeschlagen. Ich habe diese Zeit gehasst. Sie wusste aber auch, dass ich nach ihrem Tod alles gut regeln würde.
Warum ist uns die Grabstelle so wichtig? Das Grab ist Erinnerung und Geschichte. Der zentrale Punkt der Emotion. Die Grabstätte ist die letzte Verbindung zwischen den Lebenden und den Toten. Die Trauer um die Person ist mit dem Stein verbunden. Der Stein ist eine Tür zur Erinnerung.
Warum habe ich als Steinmetz nicht selbst einen Grabstein für uns geschaffen? Ich bin mit dem Grabdenkmal zufrieden, da ich es mein Leben lang geliebt habe. Schon als Schüler, als ich für die Firma Hammond-Norden gearbeitet habe, bin ich an ihr vorbeigekommen. Die Hammond-Nordens sind zudem auf dem Friedhof schon gut vertreten. Wie viele Grabstätten soll es noch von uns geben? Da braucht es keine neue.
Autorin: Louise Brown, geboren 1975 in London, ist Journalistin und auch als Trauerrednerin in Hamburg tätig. Dort moderierte sie das erste ›Death Café‹. In ihrem Podcast ›Meine perfekte Beerdigung‹ spricht sie mit Menschen darüber, wie sie einmal verabschiedet werden wollen. 2021 erschien im Diogenes Verlag ihr Buch ›Was bleibt, wenn wir sterben‹, 2023 ihr Trauerjournal ›Was bleibt, wenn wir schreiben‹.