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Wir schaffen Räume für Erinnerungen

Vater und Sohn betreiben eine Stein-Manufaktur der besonderen ART – für die Lebenden und die Toten – ein Ateliergespäch.

Wir schaffen Räume für Erinnerungen

Zitat: Fritz Roth_TRAUERAKADEMIE

„Für alle Lebenden“ steht auf der ersten Seite des weißen weisen Buches mit dem Titel MORGEN. Dieser Satz ist allen trauernden Menschen gewidmet. Das ganze „Büchlein“, so nennt es sein Initiator und Herausgeber Hermann Freymadl, enthält Sätze von Menschen, die sich mit ihrer Endlichkeit auseinandergesetzt haben.

Alle Texte sind geprägt, blindgeprägt, nur als Relief, ohne Druckfarbe. Wer immer dieses Buch aufschlägt, berührt sie zuerst mit den Fingerkuppen, wie ein Blinder die Blindenschrift, obwohl wir Sehenden sie mit den Augen lesen. Nur Licht und Schatten machen den Inhalt sichtbar.

„Dieser Überzeugung eines MORGEN haben die Menschen von Anbeginn Ausdruck zu geben versucht in der Gestalt eines Steines als Symbol für Ewigkeit. Sie haben nicht nur Namen und Daten ihrer Toten in den Stein gemeißelt, sondern auch mit Zeichen und Sinnsprüchen des Lebens, des Glaubens an ein MORGEN versehen. Das Buch soll als Denkanstoß für unser eigenes Denkmal, nicht unserer Person, sondern der Botschaft des Unendlichen und Ewigen, die aus und durch unser Leben spricht, verstanden werden – als eine Hilfestellung in die Sprachlosigkeit und Stille unserer sonst so lauten Welt und Zeit, gerade im Angesicht des Sterbens und des Todes.
Darum der Buchtitel
MORGEN für alle Lebenden,“ liest Hermann Freymadl, lächelt, fast scheu, lässt sein Textblatt zum Buch sinken und blickt zu Luca, seinem Sohn.

Foto: Achim Eckhardt

Was ist die Botschaft?

Der Vater ist stolz auf den Sohn, der nicht einfach in die Fußstapfen des Vaters treten will, der seine eigenen Spuren ziehen wird. „Als er die Idee hatte sich an der Dombauhütte Köln zu bewerben, habe ich nächtelang nicht geschlafen; von hundert Bewerbern wird einer genommen,“ sagt Freymadl; er selbst ist Design-Autodidakt. Er hat eine Ausbildung zum Steinmetz in einer Werkstatt absolviert, die auch viel Restaurierungen in der Denkmalpflege macht. „Das Material Stein hat mich schon als Kind fasziniert; ich hatte eine Mineralien-Sammlung – alle Regale im Kinderzimmer waren voll … und das Zeichnen, einfach kreativ sein, das ist eine Leidenschaft …, viele Arbeiten habe ich nur für mich gemacht, weil sie raus wollten; es sind Unikate, aber es gibt auch kleine Editionen“, er lacht.

Nach der Ausbildung kamen die Wanderjahre und die Meisterprüfung; Freymadl ist einer, der das Material Stein liebt und kennt. Der genau beobachtet: Was soll zum Ausdruck kommen – was ist die Botschaft? Seine Arbeiten sind symbolstark, puristisch und ungeheuer klar: Alles Überflüssige wird weggelassen – was eine Kunst ist. Und Mut fordert. Luca, sein Sohn, war nicht nur mutig, sondern entschlossen.

„Die Arbeit am Stein fordert Kraft und Ausdauer und ihren Tribut, besonders im Alter,“ sagt Freymadl: „Luca hätte werden können was er will, ich habe ihn nie gezwungen – aber er sollte nicht bei mir lernen. Dann kam die Zusage von der Dombauhütte in Köln.“ Luca erzählt weiter:
 „Zuerst machen sie eine Vorauswahl, dann kommt das einwöchige Praktikum in Köln und dann warten, warten auf den Rückruf. Und ganz wichtig: Man darf keine Höhenangst haben.“ Der Vater ergänzt: „Der Anruf kam, als wir gerade auf dem Friedhof gearbeitet haben …, dann Lucas Freudenschrei, mitten auf dem Friedhof.“ Freymadl lächelt seinen Sohn Luca an und spricht über diese besondere Ruhe auf dem Friedhof. „Das muss ein Rückzugsort sein, ein Raum für Kontemplation.“ Er ist kein Fan von den Friedhof-attraktiver-machen-Plänen: „…ich will keinen Europapark am Friedhof“, sagt er, „aber ein Café, ein Begegnungsort wäre gut.“

Das gute lange und intensive Zuhören

 „In 36 Jahren erlebt und hört man vieles, viel Leid, viel Trauer… ich höre zu, die Menschen spüren, dass ich ihnen intensiv zuhöre und ihnen alle Zeit gebe, die sie brauchen.“

Freymadl erinnert sich: „Wir haben, das ist jetzt auch schon zwanzig Jahre her, den Grabstein für einen Mann gestaltet, dessen erwachsene Kinder in der ganzen Welt verstreut lebten. Sie würden das Grab ihres Vaters vermutlich nie besuchen können. Mir kam die Idee einer Art ritueller Handlung. Mit der Kernbohrmaschine haben wir in den Stein Hohllöcher gebohrt, dann bleibt in der Mitte eine kleine Steinsäule stehen, die hat der älteste Sohn stellvertretend für seine Geschwister herausgebrochen. Wir haben noch eine Art Sockel dafür entworfen, und jedes der Kinder bekam dann ein Teil des Steines des Vaters.“

Eine weitere Kundin, eine Witwe, kam während zwei Jahren immer wieder zu ihm, bis der richtige Stein gefunden war. Er spricht von den Entwürfen, die er nach den Gesprächen zeichnete, in denen die innige Liebe des Paares zueinander ihren Ausdruck finden sollte. Die Frau erzählt von der gemeinsamen Zeit mit ihrem Mann, dass sie einen Bildhauerkurs im Allgäu gemacht hätten, und vom Geborgensein in den Umarmungen ihres Mannes: Das alles habe sie in eine Skulptur aus Kalkstein gepackt. Freymadl bittet die Frau, ihm ihre Arbeit zu zeigen: „Sie war stark abstrahiert, aber ihre Skulptur hat wirklich etwas ausgedrückt, und ich wusste, das ist genau das, was sie haben will und was ihr guttut. Wir entwarfen nur noch einen Basaltsockel aus diesem wunderbaren grauen Stein aus der Eifel, der passte zu ihrem beigen Kalkstein. Dann noch einen Rahmen, ein Stein-Passepartout, und eine einfache, sehr grafische Schrift dazu.“ Die Witwe und ihr Sohn haben sich für diese gute Erinnerungs-Stein-Lösung auf dem Grab des Mannes, des Vaters bedankt, „… und besonders für unsere Geduld,“ Freymadl lächelt: „Manche Kunden schicken Jahre später noch Briefe.“

Musterstein-Box   (Foto: Achim Eckhardt)

Die neuen Spuren/Wege

„Wir wollen neue Räume schaffen für Erinnerungen.“ Vater und Sohn inspirieren sich dabei gegenseitig. „Die meisten Menschen wollen am Grab etwas tun, etwas dalassen: ein Bild, einen vertrauten Gegenstand, etwas was nicht als „Reise-Beigabe“ im Sarg liegen, nicht verbrennen sollte, sondern sichtbar am Grab bleiben darf … und nicht den Unbillen der Witterung ausgesetzt sein soll.“ Aus dieser Idee entstand ein schützender Erinnerungsraum aus Bronze und Glas. Luca nennt ihn: Memoryspace, der in jeden Stein und Form integriert werden kann. Und er hat noch mehr Ideen zu neuen bildgebenden Techniken, um z. B. Porträts in den Stein zu übertragen.

Modell des integrierten Erinnerungsraumes im Grabstein   (Foto: Achim Eckhardt)

Sandstrahl-Umsetzung von Bildmotiven in Grabsteine   (Foto: Achim Eckhardt)

Schlussbemerkung: Das Ende, der Übergang, die Warteschleife, das Zwischenreich, das Bardo, die Wiedergeburten, Samsara, das Paradies,… wie immer unsere Jenseitsvorstellungen ausschauen – wir werden es erfahren, wenn es soweit ist.
Beginnen können wir sofort, hier, im Diesseits, mit etwas absolut Tröstlichem, mit Kunst:

DENKEN SIE IMMER DARAN, MICH ZU VERGESSEN!

Zitat aus dem Buch MORGEN von Tim Ulrich, Künstler und Gestalter seiner zukünftigen Grablege in der Künstler-Nekropole Kassel. Immer einen Besuch, schon zu Lebzeiten, wert.

Autorin: Gisela Zimmermann/Filmemacherin und Trauerbegleiterin

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