Foto: Verlagsbüro Hey
Beistand kann Trost sein. Gemeinschaft und physische Präsenz kann Trost stiften.
Als unser Sohn Max an einem Sonntag verstarb hat es nur Minuten gedauert, bis sich das Unglück in unserem kleinen Ort herumgesprochen hat. Viele Menschen kamen unmittelbar zum Kondolieren und um uns beizustehen. Wir haben gemeinsam geweint, geklagt, geschwiegen und getrauert. Trauer braucht diese Resonanz, diesen Trost den eine Gemeinschaft geben kann. Bis zur Beerdigung mit Trauerfeier am darauffolgenden Freitag, gab es zahlreiche Besuche. Freunde sind angereist und die überwältigende Besucherzahl der Trauerfeier war ebenso anrührend wie tröstlich. Unser Umfeld ging in Handlung – wir waren nicht allein. Schlimm schön!
Am Tag nach der Beerdigung haben meine Frau Sylvia und ich, nach einem sehr wertvollen gemeinsamen Frühstück in großer Runde in unserem Haus, die angereiste Familie und alle (!) Freunde wieder verabschiedet. Das Haus war nun leer! So leer wie nie zuvor. Trostlos leer. Wir selbst fühlten uns einsam, verlassen, ebenso leer wie unser Haus.
Auch in der folgenden Zeit erfuhren wir noch Unterstützung und Beistand, Trost und aktive Hilfe durch Freunde, Nachbarn und Familie. Diese Unterstützung, das haben wir erst im Vergleich und durch Schilderungen anderer verwaister Eltern erfahren, hat verhältnismäßig lange angedauert. Doch schon im Verlauf dieses ersten Jahres, in dem man uns gehalten und getragen, begleitet und getröstet hat, bemerkten wir einzelne aber deutliche „Absetzbewegungen“!
Mit der Zeit gingen Freunde, Familie, Nachbarn wieder in „ihr eigenes Leben zurück“, das ihnen – um unsere bittere Erfahrung reicher – geblieben war. Sie konnten in ihr eigenes Leben zurückkehren. Nur für uns, für uns gab es eben kein Zurück. Trotz aller Unterstützung bleibt es eine Tatsache, dass niemand sein eigenes Leben aufgeben kann, um Trauernde dauerhaft zu trösten und beizustehen. Jeder kann nur sein eigenes Leben leben.
Und wir, wir kannten uns in unserem eigenen Leben nicht mehr aus.
Alles musste nach dem Tod von Max neu gedacht werden. Wo ist der neue Platz, wenn sich elementare Dinge verändern, Gewichtungen verschieben? Und immer deutlich spürbar dieser Wunsch und die Hoffnung der Freunde und Familie, dass man doch bitte wieder zurückfindet in sein ursprüngliches Leben und wieder so wird, wie man vor dem Tod des Kindes war. Es schien so, als ob niemand außer uns selbst, die unglaubliche Unmöglichkeit dieses Gedankens begriff.
Dieses Gefühl der trostlosen, tieftraurigen Einsamkeit entstand auch aufgrund der Tatsache, dass wir in unserem Freundes- und Bekanntenkreis die einzigen Eltern waren, die um ein verstorbenes Kind trauerten. Dieses ganz besondere Trauer-Gefühl um ein Kind ist weder erklär- noch vermittelbar. Nicht-Betroffene können, wollen und letztendlich sollen sie, soll niemand dieses Gefühl erleben müssen. Doch wir hatten das immer stärker werdende Bedürfnis, dass man uns und unsere Gefühle versteht, dass wir uns mitteilen können und in einen wirklichen Austausch zu diesem Thema gehen können. Dies war für uns Antrieb in Handlung zu gehen.
Foto: Verlagsbüro Hey
Ein Jahr nach dem Tod unseres Sohnes Max haben wir erstmals die offene Trauergruppe des Vereins „trauernde Eltern und Kinder“ in Mainz besucht. Unsicher, zweifelnd, verletzt, einsam betraten wir Neuland. Dieser ebenso schwierige wie wichtige Schritt führte uns in eine Gemeinschaft von ganz unterschiedlichen Menschen in eine Trauergruppe, die bis heute „unsere“ Traugruppe ist. Es eint uns diese schmerzhafte Erfahrung des Verlustes eines geliebten Kindes und die Veränderungen, die sich daraus für den Rest des eigenen Lebens ergeben haben.
Austausch, verstanden werden, verstehen.
Der für uns so wichtige Austausch mit Gleichgesinnten über Erfahrungen, Hoffnungen und Lösungsansätze hat bei uns auch dazu beigetragen, unser eigenes Sein und Handeln zu reflektieren und uns selbst besser zu verstehen. Wir mussten mit Hilfe der Unterstützung der Trauergruppe uns und unsere neue Normalität erst selbst kennenlernen, bevor wir für unser Umfeld dadurch wieder greifbarer und verständlicher, klarer werden konnten.
Unser ursprünglicher Freundes- und Bekanntenkreis hat sich mit der Zeit ausgedünnt, Menschen haben sich von uns abgewandt und dafür haben wir unterschiedliche Motive ausmachen können. Einige wertvolle (und belastbare!) Kontakte halten bis heute, „Bekannte“ von früher zeigen sich aufgrund ihrer vorbehaltlosen Unterstützung ganz neu und sind zu Freunden geworden. Neue Freunde und Bekannte sind in unser Leben getreten, die uns nur mit „unserer Geschichte“ kennen. Doch es gibt eine Grenze die diese beiden Kreise der Trauernden und (Noch-) Nichttrauernden voneinander trennt: in der Trauergruppe des Vereins haben wir eine neue, wichtige, bis heute tragende und tröstende Gemeinschaft und auch neue Freunde gefunden, mit der wir unser Schicksal teilen. Es ist eine Vertrautheit entstanden, deren Austausch die Resonanz bietet, die in unserer Trauer weiterhin wichtig ist und weiterhin tröstet!
Das Gefühl der Einsamkeit und des Alleinseins wird uns weiterhin immer wieder einmal überfallen. Dies kann in einem überfüllten Park ebenso der Fall sein, wie z.B. bei einer Familienfeier. In den acht Jahren seit dem Tod von Max ist bei uns zudem die Gewissheit entstanden, dass wir mit unserem Schicksal nicht alleine sind, dass es Angebote und Unterstützungen von Selbsthilfegruppen, Therapeuten, Vereinen, neuen Freunden und zugewandten Menschen gibt, die uns eine Zeit lang hilfreich zur Seite stehen. Dass durch den massiven Eingriff und den Wandel, den der Tod unseres Kindes bewirkt hat zahlreiche Änderungen in unserem Leben stattfinden, Familie und Freunde „anders funktionieren“ wie vorher, müssen wir dabei notgedrungen akzeptieren. Wir wollen aber immer wieder aufs Neue in Handlung gehen, Wünsche äußern, Unterstützung und für uns passende Angebote annehmen. Unser Leben müssen wir weiterhin alleine und für uns selbst leben, so anstrengend und kraftraubend das in unserem speziellen Fall als verwaiste Eltern mitunter auch ist.
Gefühle der Einsamkeit werden immer wieder entstehen, jedoch alleine sind wir nicht! Unsere Kinder – ob lebendig oder verstorben – werden bis zu unserem letzten Atemzug in unseren Herzen sein.
Autoren: Sylvia und Andreas Hey haben ihren Sohn verloren. „Ein Leben endet – viele Leben ändern sich“, titeln sie in ihrem Text über ihre Trauer und den langen Weg. Was sie schreiben spiegelt nicht im Ansatz ihren Schmerz, das war auch nicht das Anliegen. Trauernde brauchen kein Mitleid, sondern Mitgefühl und die Achtsamkeit der Gesellschaft.
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