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Wenn Tod und Trauer mit am Tisch sitzen

Jeder von uns muss sterben. Die Künstlerinnen Emma Berentsen und Hanna Rohn nähern sich dieser Tatsache auf ungewöhnliche Weise. In ihrer Performance „Let’s talk about death, baby“ versuchen sie eine Momentaufnahme verschiedener Aspekte von Tod und Trauer in unserer Gesellschaft zu zeigen. Das Ergebnis ist ein sehr intimer und kulinarischer Abend über unsere Sterblichkeit.

Wenn Tod und Trauer mit am Tisch sitzen

14 Menschen nehmen an einer langen Tafel Platz – essend, trinkend, redend. Auf den ersten Blick eine alltägliche Szene, wären da nicht der Ort und das Thema. Die Frauen und Männer, die meisten von ihnen begegnen sich zum ersten Mal, haben sich ein Ticket gekauft und sich ins Theater begeben, um miteinander über die oft tabuisierten Themen Tod und Trauer zu sprechen. Den Rahmen dafür bildet die Performance „Let’s talk about death, baby“ von Hanna Rohn und Emma Berentsen. Als roter Faden zieht sich die Beziehung zwischen Essen und Sterben durch den Abend. Der ganz profanen Nahrungsaufnahme, um zu überleben, hat das österreichisch-holländisches Duo kulturell tradierte Motive wie das Abendmahl und den Leichenschmaus gegenübergestellt.

Die Performance „Let’s talk about death, baby“ erinnert an die Motive Abendmahl und Leichenschmauß

Frau Rohn, Sie und Ihre Kollegin Emma Berentsen sind erst Anfang 30. Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrem noch jungen Leben mit Tod und Trauer gemacht?

Solche Erfahrungen sind keine Altersfrage. Ich hatte von klein auf mit dem Thema zu tun. Es kann ja in jedem Alter passieren, dass jemand stirbt. Ich hatte das große Glück, meine Uroma zu haben bis ich 21 war. Dann habe ich ihren Tod miterlebt. Und auch Haustiere sterben, denen besonders Kinder nachtrauern als wären es Menschen. Unsere Performance beginnt ja auch mit unseren eigenen Trauerbiografien. Meine holländische Kollegin Emma Berentsen – sie ist genauso alt wie ich – hat bereits sehr viel an sehr nah gehender Trauer erlebt. Ihr Vater ist gestorben als sie 16 war und ihre Mutter hat Sterbehilfe in Anspruch genommen als wir bereits an unserer Performance arbeiteten. Dadurch habe ich unmittelbar erlebt, wie es ist, jemanden zu begleiten, der Sterbehilfe wünscht. In dem Fall verschiebt sich die Trauer auf die Zeit vor dem Tod. Ich persönlich hatte bisher zum Glück keine Trauerfälle, die ganz plötzlich gekommen sind. Ich konnte mich innerlich immer darauf vorbereiten in einem längeren Trauerprozess vorher.

Wie haben Sie es erlebt, als Ihre Urgroßmutter gestorben ist? Wie sind Sie damals mit Ihrer Trauer umgegangen?

Bei meiner Urgroßmutter war gar nicht so eine große Trauer da, weil sie schon 92 war und ich das Gefühl hatte, sie hat ihr Leben gelebt. Es war eher Dankbarkeit dafür, wie lange sie bei uns war. Noch ein Jahr vor ihrem Tod lebte sie selbständig in ihrem Haus. Dann hat sie ihre Sprache verloren. Das empfand ich viel trauriger als ihren Tod. Sie wollte mit mir kommunizieren und hat es einfach nicht geschafft. Ich habe versucht zu erraten, was sie mir sagen wollte. Als das nicht gelang, haben wir beide einfach nur geweint. Mit ihrem Tod konnte ich dann ganz gut umgehen.

Was hat Essen mit dem Tod zu tun?

In dieser Beziehung steckt eine gewisse Ironie. Wir essen ja, um leben zu können. Emma und ich fanden verschiedene Zusammenhänge zwischen Essen und Tod bzw. Trauer. Darauf haben wir unsere Performance aufgebaut, die aus sieben Kapiteln besteht: Feierlichkeit, Überleben, Übergangsrituale, Trost, Erinnerung, Gemeinschaft sowie Leben nach dem Tod.

Der Countdown läuft: noch 48 Jahre

„Let’s talk about death, baby“ ist eine Montage aus vielen, verschiedenen Elementen. Den Einstieg bilden die Trauerbiografien der beiden Performerinnen. Diese sehr persönlichen und authentischen Erlebnisse dienen als Gesprächsöffner. Dann errechnen Hanna Rohn und Emma Berentsen anhand der Tode in ihren Familien und der statistischen Lebenserwartung in ihren Ländern ihre gemeinsame durchschnittliche Lebenserwartung. In der ersten Performance sind es 48,025 Jahre, die sie theoretisch noch zu leben hätten. Aus den Jahren werden Minuten und so die noch verbleibende Performancedauer. Ein großer Timer auf der Bühne zählt die Zeit herunter. Sobald der Timer auf null steht, ist die Performance vorbei. Ohne Wenn und Aber, denn so sei nun mal das Leben. Wobei wir in der Realität vorher meist nicht wissen, wann es vorbei ist. Manche Leute stresst der Countdown, aber irgendeinen Rahmen müsse es geben, da man sonst ewig über diese Themen reden könnte. Hinterher besteht die Möglichkeit, an der Bar weiter zu diskutieren. Teil der Performance sind auch ein Weinritual, bei dem auf die Vergänglichkeit angestoßen wird, und eine Abstimmung darüber, wie sich die Anwesenden ihr Begräbnis wünschen. Dann wird ein Text gelesen über Kapitalismus und Tod, verbunden mit der Frage: Was kostet das Sterben überhaupt? Ein weiterer Text beschäftigt sich mit dem selbstbestimmten Sterben von Emmas Mutter und der These: Wenn wir uns für das Sterben entscheiden können, entscheiden wir uns im Gegenzug auch jeden Tag dafür, dass wir leben wollen?
Für etwa eine Stunde sitzen sich die 14 Besucher der Performance an einer langen Tafel gegenüber, während die beiden Künstlerinnen an der Stirnseite Platz nehmen und sich um die Choreografie der inszenierten Gesprächsrunde kümmern. Bevor es ans Essen geht, waschen sie allen Gästen die Hände. Eine zärtliche Geste, deren Assoziationen zur Leichenwaschung durchaus beabsichtigt seien. Die Tafel ist eingedeckt mit Tellern und Gläsern, Besteck allerdings fehlt. Stattdessen gibt es Stifte, mit denen das gesamte weiße Tischtuch beschrieben und bemalt werden kann. Das tun die Frauen und Männer ausgiebig. Wenn das Tischtuch voll oder beschmutzt ist, schneiden die beiden Performerinnen die gestalteten Teile aus und archivieren sie. Daraus könnte einmal eine Ausstellung entstehen.

Wie auch bei den „Death Chats“ wird hier beim Essen über den Tod gesprochen

Nach welchen Kriterien haben Sie die Auswahl der Speisen und Getränke getroffen?

Die Auswahl der Speisen und Getränke, wie auch die Idee insgesamt, ist inspiriert von den „Death Chats“ in einem Londoner Hospiz, wo wir beide 2014 für drei Monate gearbeitet haben. Die „Death Chats“ waren damals eine Bewegung in England, die es inzwischen auch in anderen Ländern gibt. Eine Gruppe von Menschen trifft sich wöchentlich zu thematisch ganz unterschiedlichen Gesprächen rund um den Tod. Und dazu gibt es immer Wein, Käse und Trauben.

Wie haben Sie die Zeit im Hospiz erlebt?

Es war Emmas Idee, ins Hospiz zu gehen. Sie hatte damit wenig Berührungsängste aufgrund ihrer familiären Erfahrungen. Ich dagegen hatte schon Angst, das Hospiz zu betreten. Es war ein komisches Gefühl, an einem Ort zu sein, an dem jederzeit Menschen unmittelbar neben dir sterben. Wir hatten auch hier eine kleine Performance gemacht. Mit „Let’s talk about death, baby“ wollten wir die „Death Chats“ mit den Mitteln der Kunst in ein Theater-Setting überführen und so für einen größeren Kreis Menschen öffnen.

Ersatzloser Verlust religiöser Rituale

Was haben Sie selbst bei den Performances gelernt über Tod und Trauer?

Sie sind ein Teil des Lebens. Es ist extrem wichtig, über solche Themen zu reden und sie nicht nur als unausgesprochene Gedanken mit sich herumzutragen. Rituale helfen bei der Trauer. Da immer weniger Menschen religiös sind, fehlen bestimmte Rituale, ohne dass sie durch neue ersetzt wurden. Der Leichenschmaus etwa diente ursprünglich dazu, die Gemeinschaft zu stärken. Es gab Essen für alle – auch für jene, die den Toten gar nicht kannten.

Haben Sie sich darüber Gedanken gemacht, wie Ihre eigene Trauerfeier ablaufen soll?

Im Vorfeld der Performance haben Emma und ich sehr viel über diese Fragen gesprochen. Wenn man solche Fragen seinem Publikum stellt, muss man sich ihnen vorher auch selbst stellen! Ich selber habe nicht so viele Wünsche. Ich glaube nicht an ein Leben nach dem Tod. Deshalb ist es am wichtigsten, dass die Trauerfeier und der Abschied für die Hinterbliebenen passen. Andererseits ist es manchmal hilfreich, seine Wünsche zu äußern, damit sich die Hinterbliebenen an etwas festhalten können. Mir fällt dazu meine Oma ein, die noch lebt. Auf ihrem Begräbnis hätte sie gern eine Dixieland- Band. Das habe ich nicht verstanden und darüber mit ihr diskutiert: „Wenn du so gern eine Dixieland-Band hättest, wieso machen wir das nicht zu deinem nächsten runden Geburtstag? Wieso willst du das nicht erleben?“

„Let’s talk about death, baby“ feierte 2018 Premiere im Theater am Lend in Graz und wurde anschließend mehrfach aufgeführt. Weitere Performances sind derzeit nicht geplant. Aber es gibt Anfragen für Aufführungen auf Friedhöfen oder in Museen.

Weiterlesen:

www.hannarohn.com
www.emmaberentsen.nl

Fotocredits:

Julia Rohn

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