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Trauer braucht ihre Zeit

Ärzte an ihrer Seite zu haben, die die Symptome und Prozesse der Trauer kennen, ist sehr wichtig für Hinterbliebene. Doch erst seit gut einer Dekade lernen Medizinstudenten über den Umgang mit Trauernden.

Trauer braucht ihre Zeit

Für die einen fühlt es sich an, wie vom Laster überfahren worden zu sein. Andere haben einen erhöhten Blutdruck, Blähungen oder Sodbrennen. Für das „gebrochene Herz“ gibt es sogar einen Fachbegriff – das „Takotsubo-Syndrom“, das sich in Brustschmerzen und Kurzatmigkeit ausdrückt.

Wenn Menschen trauern, schlägt das oft nicht nur auf die Seele, sondern auch auf den Körper. Gehen sie dann mit diesen Beschwerden zu ihrer Ärztin oder Arzt, ist es sehr wichtig, dass diese auf dem Gebiet der Sterbebegleitung und Trauerverarbeitung geschult sind. Doch erst seit 2014 ist Palliativmedizin Pflichtfach im Medizinstudium. Vorher hatten einige Universitäten es als Wahlfach oder freiwilliges Seminar angeboten. Häufig werden Rollenspiele mit Schauspielern zum Erkennen von Trauersituationen angewandt. Nähere Informationen im beiliegenden Curriculum der DGP für Medizinstudenten. https://m.thieme.de/viamedici/klinik-faecher-sonstige-faecher-1548/a/palliativmedizin-4323.htm

Allgemeinmediziner müssen sich eigenständig um Fort- und Weiterbildungmöglichkeiten im Bereich Patienten mit Trauersymptomen kümmern. Dementsprechend dünn ist oft auch das Wissen vieler Heilkundler.

Die Verdrängung des Todes

Eine, die das seit gut drei Jahrzehnten zu ändern versucht, ist die Psychiaterin und Psychotherapeutin Elisabeth Daikeler aus Karlsruhe. Seit 1998 befasst sich die inzwischen pensionierte Ärztin mit dem Thema und schult ihre Kolleginnen und Kollegen. Als ein Kollege krank geworden war, so erzählt sie, wollte sie nachlesen, was es in den medizinischen Lehrbüchern zum Thema Sterben und Trauer gibt. Doch nur in einem Buch habe sie auf der allerletzten Seite etwas gefunden.
Gynäkologie, Geburtshilfe stand von Anbeginn auf dem Ausbildungs-Kanon von Medizin-Studentinnen und Studenten. Daikeler vermutet, dass dieses Manko mit der allgemeinen Verdrängung und der fehlenden Aufarbeitung der traumatisierenden Folgen des Zweiten Weltkriegs zu tun habe.

Sie selbst gründete dann eine Hospiz-Gruppe und lernte nach und nach über Trauer und Verlust zu reden und ihre Erkenntnisse in Fortbildungen weiterzugeben. Hilfreich seien dabei die sogenannten „Balint-Gruppen“ gewesen. Sie gehen auf den Psychiater Michael Balint zurück und richten sich an Allgemeinärzte, die in kleinen Gruppen, unter Anleitung eines Psychoanalytikers, über einen Patienten sprechen. „Ein Drittel aller schwer und chronisch Kranken geht nie zum Psychiater und wird vom Hausarzt behandelt“, sagt Daikeler. In den Balint-Gruppen kommen gut zehn Ärzte zusammen. „Jeder trägt sein Wissen bei und am Ende wird durch das gemeinsame Gespräch viel klarer, was den Patienten helfen würde“, berichtet die Fachfrau.

Ärzte lernen über den Tod und Trauer zu sprechen

Seit gut 30 Jahren bietet Daikeler derartige Treffen an. Zudem gäbe es seit Anfang der 2000er-Jahre die Palliativweiterbildung. „Darin lernen die Ärzte, über Tod und Trauer zu sprechen“, sagt Daikeler. „Mein Eindruck ist, dass die Mediziner dieses Wissen geradezu aufsaugen und es als sehr hilfreich für ihre Praxis empfinden.“

Bei der Trauer müsse „man als Arzt in eine einfache Kommunikation zurück“, sagt Daikeler, es ginge „um eine wohlwollende Distanz, die aber das Mitfühlen viel deutlicher“ zeigen darf. Die Ärzte wollen oft mehr Empathie zeigen und helfen“, sagt sie. Doch sei den Patienten kaum geholfen, wenn die Ärztin oder der Arzt mit ihnen mittrauern. Besser sei eine „wohlwollende Begleitung“, bei der die Mediziner neue Anregung und neue Hinweise geben könnten.

Dazu gehört auch die oft körperlichen Schmerzsymptome als eine Reaktion der Trauer erkennen und einordnen zu können. Die behandelnden Ärzte sollten auch ein Auge auf die Möglichkeit/Tendenzen zu einer Selbsttötung haben, da die Suizidätsrate von Trauernden höher ist als im gesellschaftlichen Schnitt.

Trauer nimmt sich ihre Zeit

Die Zeit, die jede und jeder zum Trauern braucht, ist bei jedem völlig unterschiedlich. Daikeler kritisiert daher die gängige Einschätzung unter Medizinern, dass nach 12 Monaten Trauer bereits von einer „pathologischen Trauersituation“ zu sprechen sei.

Um zu erkennen, was eine „anhaltende komplexe Trauerstörung“ ausmacht, gibt es im US-amerikanischen Diagnose-Schema DSM bereits Behandlungsziffern. Im bereits erschienen ICD-11 (tritt 2022 in Kraft) ist die ATS, die anhaltende Trauerstörung, als eigenständige Erkrankung aufgeführt. Zuvor wurden Trauerbeschwerden unter Depression abgerechnet und leider auch oft so behandelt. Antidepressiva sind keine „schnelle Lösung“ gegen Trauer.

Doch warnt die Fachfrau aus ihrer jahrzehntelangen Erfahrung mit Menschen in Trauer, längere Trauerzustände zu pathologisieren. Auch der gut gemeinte Ratschlag, „loszulassen“ helfe wenig – das empfänden viele, als ob geliebte Verstorbene ein zweites Mal sterben würden. Moderne Trauerforschung spricht davon dem Verstorbenen einen neuen Ort zu geben, im Herzen, in der Erinnerung.

Stattdessen verweist sie auf die „zirkuläre Trauer“, die der Therapeut Roland Kachler beschrieben hat. Kachler hat seinen 16-jährigen Sohn durch einen Unfall verloren. „Der Tod beendet das Leben meines geliebten Menschen, nicht aber meine Liebe zu ihm“, schreibt er auf seiner Webseite. Deshalb sei beim Trauern nicht das „Loslassen“ zentral, sondern die „Liebe und der Wunsch, diese Liebe in einer veränderten Form weiterleben zu können“.

Der Verstorbene werde so zu einem „inneren Begleiter oder sogar Ratgeber“, schreibt Kachler in dem Buch „Lass uns über den Tod reden“, das siebzehn weitere Geschichten von Menschen enthält, die berührend über ihre Verlusterfahrung berichten. In einem weiteren Schritt könne der geliebte Mensch dann sogar zu „einer inneren Energie- oder Kraftquelle“ werden.

Daikeler formuliert es so: „Die äußere Beziehung ist abgebrochen, die innere Beziehung muss gestärkt werden. So kann es gelingen, den Verstorbenen an seinem Ort zu lassen und so durch das Leben zu gehen.“

Dieser Weg benötigt sicherlich viel Kraft. Und nicht jede Trauernde oder Trauernder wird in der Lage sein, ihn zu gehen. Wichtig aber ist, sich überhaupt auf den Weg zu machen und dabei Ärztinnen und Ärzte an seiner Seite zu haben, die gelernt haben, mit Trauer umzugehen.

 

Margaret Heckel. Die Journalistin/Autorin Margaret Heckel schreibt über Wirtschafts- und Politikthemen
Anfragen an Dr. Elisabeth Daikeler bitte an die Redaktion schicken: info@trauer-now.de

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Buchtipp:

C. Juliane Vieregge, Lass uns über den Tod reden
2019, 304 Seiten, ISBN: 978-3-96289-044-5

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