Logogestaltung: Sophie Wetterich
02. Februar 2021
„Seelsorge ist Gastfreundschaft“
– diesen kurzen Satz, der in einem Seminar gefallen ist, habe ich mir auf einem Klebezettel notiert und an meine Pinnwand geheftet. Die Formulierung hat einen Nerv getroffen: so, wie wir auch eine gute Freundin mit offenem Herzen auf unser Sofa einladen, um mit ihr über ihre Neuigkeiten, Sorgen und Freuden zu sprechen, begleiten wir auch Trauernde vorbehaltlos und mit ehrlichem Interesse an der Person. Wir bieten ein offenes Ohr, helfen dabei, Gedanken zu sortieren, oder sind manchmal schlicht Partner:innen im gemeinsamen Schweigen. Wir begegnen unserem Gegenüber auf Augenhöhe und nehmen die Person so an, wie sie in diesem Moment da ist.
Gastfreundschaftlichkeit bedeutet, im Rahmen meiner Möglichkeiten auf die individuellen Bedürfnisse der anderen Person einzugehen – und das nicht nur im Gespräch. In der Begleitung sollten wir uns also fragen: was macht diesen Moment für mein Gegenüber besser? Das kann vieles sein: ein bequemer Sitzplatz, die warme Tasse Tee, Musik, das richtige Maß an körperlicher Nähe, Beschäftigung für die Hände,… Das Gefühl, in einer Situation willkommen zu sein, zeigt sich manchmal in einer einfachen Frage: „Was brauchst du, wie kann ich helfen?“
Jede:r von uns trauert irgendwann. Zeigen wir uns also solidarisch mit denen, die durch schwere Zeiten gehen: laden wir sie dazu ein, bei uns Gast zu sein.
10. Februar 2021
Journalistin Beate Lakotta und Fotograf Walter Schels haben eine besondere Dokumentation des Lebens erstellt. Das Projekt „Noch mal Leben“ portraitiert 26 unheilbar kranke Menschen in Wort und Bild. Ein Foto vor dem Tod, eines kurz danach. Dazu ein Text. Die Sterbenden kommen zu Wort und sprechen über ihre Lebenserfahrungen, Ängste und Hoffnungen. Kaum etwas bewege uns so sehr wie die Begegnung mit dem Tod – doch kaum etwas geschehe heute so verborgen wie das Sterben, so die Autor:innen. Die Reaktionen auf die Portraits sind ganz unterschiedlich. Einige Menschen betrachten sie mit einem Lächeln im Gesicht, spüren den Lebens- und Sterbensgeschichten interessiert nach. Bei manchen Besucher:innen zeigt sich Unsicherheit. Darf man sich Fotos anschauen, von fremden Menschen, die heute nicht mehr leben – in einer Galerie? Wieder andere betrachten besorgt die Details zum Tod der portraitierten Menschen. Sie vergleichen Alter, Lebensstationen und Todesarten. „Das könnte ich sein“ denken sie vielleicht.
Im Alltag haben viele von uns sehr wenig Kontakt mit dem Tod – bis es uns selbst betrifft. Er ist ausgeklammert aus unserem Leben, passiert oft hinter verschlossenen Türen und wird selten besprochen. Wie können wir uns ein Bild von etwas machen, ein Gefühl für etwas entwickeln, dass so wenig Raum einnimmt? Projekte wie „Noch mal Leben“ holen das Sterben in unsere Mitte. Die Texte und Bilder zeigen uns auf, dass auch im Tod Hoffnung liegt: auf ein paar Tage mehr, auf ein friedliches Sterben oder darauf, dass der Tod nicht das Ende von Allem sein möge, wie Beate Lakotta es wunderbar zusammenfasst.
16. Februar 2021
Durch das Studium der Perimortalen Wissenschaften ist es für mich und meine Kommiliton:innen mittlerweile selbstverständlich, dass wir offen über den Umgang mit Sterben und Tod sprechen. Ich muss mich dann daran erinnern, dass es noch viele Lebensbereiche gibt, in denen diese Themen noch tabuisiert werden oder als unangemessen gelten. In der Arbeitswelt ist ein bedürfnisorientierter Umgang mit Trauer zum Beispiel derzeit ein Privileg, welches nur wenigen Menschen zuteilwird. Oft fühlen sich Mitarbeitende in ihrer Situation allein gelassen und isoliert. Meist ist dies kein böser Wille, sondern Ausdruck einer großen Unsicherheit im Team: Wie kann der Verlust angesprochen werden? Sagen wir etwas, was die Situation noch verschlimmert? Soll vielleicht gar nicht darüber gesprochen werden? Statt in den Austausch zu treten und sensibel nachzufragen, wird die „Flucht nach vorn“ gewählt und der Trauerfall mit dem Alltagstrubel zu verdecken versucht – während die trauernde Person mit Samthandschuhen angefasst wird und sich als Außenseiter empfindet.
Auch die Frage nach der angemessenen Länge einer Trauerzeit taucht immer wieder auf (Spoiler: Trauer hat kein Ablaufdatum). So fragen Kolleg:innen, ob man denn „immer noch nicht“ über den Verlust hinweg sei, man müsse doch irgendwann wieder „nach vorne schauen“. Gut gemeinte Ratschläge, die aber den Gefühlen der trauernden Person einen Platz zuweisen. Trauer, so scheint es, sei ein rein privates Thema, auf der Arbeit habe dieser Lebensaspekt nichts zu suchen.
Manchmal werden trauernde Menschen aber am Arbeitsplatz überrascht und erfahren ganz unerwartete Unterstützung. Dann können es Kolleg:innen sein, mit denen man vielleicht vorher noch nicht viel zu tun hatte, die offen das Gespräch anbieten, zum gemeinsamen Mittag einen Platz in der Kantine freihalten oder mehr über die verstorbene Person wissen möchten. Diese kleinen Gesten öffnen den Weg zurück in das Team und lassen Personen auch in herausfordernden persönlichen Lebensphasen bewusst am Arbeitsalltag Teil haben.
25. Februar 2021
Memento Mori – „Bedenke, dass du sterblich bist!“
Die Formulierung entstammt dem mittelalterlichen Mönchslatein und ist Ausdruck eines tief religiösen Gesellschaftsverständnisses. Bereits im Leben sollen wir uns auf den Tod vorbereiten um unser Seelenheil am Tag des Letzten Gerichts durch frommes und gottesfürchtiges Handeln abzusichern. Sterben und Tod werden als unvermeidliche Zukunft im Leben verankert und sind in verschiedenen Formen Entscheidungskriterien für unser Handeln.
Dem gegenüber steht der Ausspruch Carpe Diem – „Nutze den Tag“. Auch hier ist das Wissen um die eigene Vergänglichkeit ein wichtiger Antrieb für das Leben. Jedoch nicht als vorauseilender Blick in ein mögliches Jenseits, sondern als Erinnerung daran, das vielfach bedrohte und kurze Leben möglichst intensiv zu nutzen, anstatt zu viel Zeit an den Gedanken an dessen Endlichkeit zu verschwenden.
Zwei theoretische Ansätze, festgehalten vor mehreren hundert Jahren – was heißt das nun aber für uns, in 2021? Wie können wir nun ganz konkret mit dem Wissen um die eigene Vergänglichkeit umgehen? Leider (oder vielleicht: zum Glück) gibt es dafür keine allgemeingültige Antwort. Der erste Schritt auf dieser Reise kann sein, in sich hinein zu hören. Was verbinde ich mit dem Gedanken daran, dass mein Leben irgendwann zu Ende ist? Wie stelle ich mir mein Leben bis dahin vor, was ist mir wichtig? Aus diesen Erkenntnissen können Handlungen entstehen. Kleine Rituale, die das Leben reflektieren, uns wichtige Momente zelebrieren lassen. Oder es formulieren sich Ziele, auf die wir bewusst hinarbeiten. Jetzt – und nicht irgendwann.
Sarah Zinn / Autorin, Medienschaffende und Studentin der PERIMORTALEN WISSENSCHAFTEN/Universität Regensburg
https://www.uni-regensburg.de/theologie/moraltheologie/perimortale-wissenschaften-ma/index.html