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„Ich studiere den Tod“ ⑪

„Perimortale Wissenschaften“ ist der neue Master-Studiengang an der Universität Regensburg: Sterben, Tod und Trauer interdisziplinär. Die Autorin Sarah Zinn ist seit Oktober 2020 immatrikulierte Studierende und berichtet in unserer Serie von ihren Erfahrungen mit diesen großen Lebensthemen.

„Ich studiere den Tod“ ⑪

Logogestaltung: Sophie Wetterich

Können wir gute Trauerarbeit erlernen?

Das neue Semester steht ganz im Zeichen der Trauerarbeit und der Begleitung von Menschen nach oder in einer Verlustsituation. Neben Seminaren, die uns Studierenden viel nützliches Handwerkszeug und wichtige Fachkompetenzen an die Hand geben, steht auch ein rund sechs wöchiges Praktikum im seelsorgerischen oder begleitenden Kontext an. Ich habe mich für ein Praxisprojekt im Hospiz entschieden, bei dem ich vor Ort bei der Begleitung von Sterbenden und ihren An- sowie Zugehörigen unterstützen kann.

Trauer- und Bestattungskultur aktiv mitgestalten

Trauer ist nach wie vor oft ein Tabuthema in unserer Gesellschaft und Menschen fühlen sich nach Verlusterfahrungen nicht selten unverstanden, alleingelassen oder – wenn es um konkrete Dinge wie die Bestattungsplanung geht – sogar schlecht beraten. Im Studium wird daher viel Wert daraufgelegt, dass wir mit dem nötigen Handwerkszeug ausgestattet werden, um trauernde Menschen in ihrem ganz individuellen Verarbeitungsprozess begleiten, unterstützen und manchmal auch beraten zu können. Doch kann man gute Trauerarbeit in ihrer Vielfalt tatsächlich lernen?

Ich merke immer wieder: ich und meine Kommiliton:innen kommen aus ganz unterschiedlichen Professionen, unser Wissensschatz ist sehr vielfältig. Uns vereinen die Zugewandtheit zu Menschen in herausfordernden Situationen und der Wunsch, die Trauer- und Bestattungskultur aktiv mitzugestalten – wir wollen uns einbringen und selbst in unseren jeweiligen Arbeitsfeldern aktiv werden. Für mich sind dies Grundvoraussetzungen, die wir als Studierende der Perimortalen Wissenschaften mitbringen sollten. Auf dieser Basis lernen wir dann in verschiedenen Seminaren, Übungen und Vorlesungen, was es für eine dienliche Begleitung von Sterbenden und Trauernden braucht – zwischenmenschlich, fachlich und auch rechtlich. Denn Trauerarbeit umfasst nicht nur die persönliche Begleitung, das Raum-Geben und Mit-Tragen, sondern kann auch die Beratung bei konkreten Fragestellungen wie zum Beispiel nach den rechtlichen Rahmenbedingungen zur Ausgestaltung einer Bestattung umfassen. So haben Studierende der Perimortalen Wissenschaften einen übergreifenden, interdisziplinären Blick auf Trauer, Tod und Sterben und können aus ganz unterschiedlichen Expertisen heraus aktiv werden – ganz im Sinne der individuellen Bedürfnisse der Menschen, die unsere Hilfe in Anspruch nehmen.

 

Die Traueransprache – Ein letztes Lebewohl

In unserem ersten Blockseminar im neuen Semester durften wir uns ganz intensiv mit der Analyse, Ausgestaltung und Bedeutung von Traueransprachen beschäftigen. Als wichtiger Bestandteil der kirchlichen Beisetzungen folgen sie oft einem klar definierten Muster und sollen den An- und Zugehörigen Trost spenden, indem sie mit passenden Wortbildern und Bibeltexten auf die Reise der unsterblichen Seele des verstorbenen Menschen zu Gott verweisen. Die Trauer um das Lebensende der geliebten Person kann durch das Wissen gelindert werden, dass er oder sie im „Danach“ in Frieden und von guten Mächten getragen ist. Für viele Menschen, die im Glauben verwurzelt sind, ist die Traueransprache ein wichtiger und hilfreicher Aspekt in der eigenen Verlustbewältigung. Vertraute Texte und die starke Anbindung an den Glauben bei einer Abschiednahme können Kraft geben in schweren Zeiten und helfen, den Tod einer lieben Person anzunehmen.

 

Heilsames Gedenken – Abschiednahme erleichtern

Bei der Arbeit im Seminar merken wir jedoch schnell: Die Anforderungen an Traueransprachen sind vielfältig, oft sind individuellere Ausgestaltungen und ein stärkerer Fokus auf die verstorbene Person gewünscht. So sind immer weniger Menschen mit den traditionellen Texten und Ritualen bei kirchlichen Beisetzungen vertraut oder überhaupt im Leben an eine Religion angebunden. Wie kann in dieser Zeit der Neugestaltung und Weiterentwicklung unserer Trauerkultur heilsames Gedenken stattfinden, welche wohltuenden Worte und Rituale brauchen Hinterbliebene, damit die Traueransprache eine Abschiednahme erleichtert?
Ich finde, zu allererst müssen wir zuhören. Den Anekdoten und Erinnerungen zur verstorbenen Person Raum geben, Bedürfnisse und Wünsche der An- und Zugehörige ernst nehmen. Daraus entstehen gemeinsam erdachte Gerüste aus Worten, Emotionen und Bildern, die für die trauernden Menschen eine Bedeutung haben, die ihrer Lebens- und Gefühlswelt nahe sind. Und auch in dieser Individualität einer Traueransprache kann Raum sein für Traditionen, etablierte Texte oder Rituale. Jedoch nicht unter der Prämisse „Das haben wir schon immer so gemacht“ sondern als bewusst gewähltes, für trauernde Menschen dienliches Element im letzten Lebewohl an eine geliebte Person.

 

Mit-Tragen, Da-Sein und Zuhören

Mein Praktikum im Hospiz hat für einige Menschen Fragen aufgeworfen. „Was machst du denn da den ganzen Tag, du bist doch gar keine Pflegekraft?“, „Sind alle im Team depressiv? Bei dem Job wäre das kein Wunder…“ und auch „Da wird sicher den ganzen Tag geweint.“ habe ich gehört. Die Realität sieht natürlich ganz anders aus. In einem multiprofessionellen Kollegium aus Pflegekräften mit verschiedensten Zusatzqualifikationen, einer Palliativmedizinerin, engagierten Hauswirtschafterinnen, Sozialarbeiterinnen, seelsorgerischer Begleitung, externen Profis und vielen ehrenamtlichen Helfenden werden 12 Gäste ganz individuell und bedürfnisorientiert begleitet. Ein Gast schläft gerne lange? Kein Problem – dann gibt es das Frühstück um 11:30. Für die Pokerrunde fehlt noch eine Person? Bei den Ehrenamtlichen findet sich auf jeden Fall jemand, der ein gutes Blatt spielen kann. Oder es ist ein Vollbad mit extra viel Schaum gewünscht? Na klar, das Wasser läuft! Es wird gemeinsam gelacht und auch geweint, es entstehen Erinnerungen und bleibende Verbindungen.

Viele Akteure arbeiten für ein Ziel zusammen: Dank vieler achtsamer Augen, offener Ohren und helfender Hände ist es möglich, den Gästen ein gutes Leben bis zum Schluss zu ermöglichen. Und dazu gehört oft auch, gemeinsam mit ihnen und ihren An- und Zugehörigen über das Sterben und die Bestattung zu sprechen. Während ich bei den Gesprächen mit den Sozialarbeiterinnen hospitiere, erlebe ich es oft, wie erleichtert und dankbar Menschen sein können, wenn sie bei diesen wichtigen Entscheidungen gut beraten und in der verbleibenden Lebenszeit in ihrem Sinne unterstützt werden. Allein das Wissen darum, was während des Sterbeprozesses passiert, wie eine Totenfürsorge (mit-) gestaltet werden kann oder welche Möglichkeiten Hinterbliebene bei der Abschiednahme haben, gibt Sicherheit in herausfordernden Situationen und hilft dabei, aus ganz individuellen Bedürfnissen heraus die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Menschen, die im Hospiz arbeiten, sind Möglichmacher und Ideengeber, Begleitung und Stütze. Sie sind da – bis zum Schluss. Auch und gerade dann, wenn es am Schwersten ist.

 

Sarah Zinn / Autorin, Medienschaffende und Studentin der PERIMORTALEN WISSENSCHAFTEN/Universität Regensburg
https://www.uni-regensburg.de/theologie/moraltheologie/perimortale-wissenschaften-ma/index.html

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