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Wenn die letzte Ruhe endet – Neue Wege im Umgang mit alten Grabsteinen

Wer sich für ein Grabmal aus konventionellem oder exklusivem Naturstein entscheidet, verbindet damit eine bestimmte Erwartung: Es soll die Erinnerung an den geliebten Menschen, den man verloren hat, auf ewig wachhalten. Viele haben bei der Planung vielleicht Bilder von historischen Friedhöfen vor Augen: von Grabsteinen und -platten, die Jahrzehnte oder Jahrhunderte überdauern. Und schließlich sind Steinplatten im Gegensatz zu einem schlichten Kreuz oder einer Skulptur aus Holz witterungs- und frostbeständig. Für viele ist es daher ein Schock, wenn sie begreifen, dass auch Grabsteine nicht für die Ewigkeit sind – sieht man mal von wenigen offiziell anerkannten Kulturdenkmälern ab.

Wenn die letzte Ruhe endet – Neue Wege im Umgang mit alten Grabsteinen

Foto: SARAH „Sarggeschichten“

Der Eigentümer entscheidet

In der Regel müssen die Angehörigen unmittelbar nach Ablauf der Ruhezeit von 20 bis 25 Jahren entscheiden, was mit dem Grabstein geschehen soll. Denn im Gegensatz zur Grabstelle, die nur gemietet wird, sind sie die Eigentümer des Steins. Im nüchternen Amtsdeutsch der Friedhofsverwaltung liest sich der entsprechende Paragraf in der Satzung dann beispielsweise so: »Nach Ablauf des Nutzungsrechts sind die Grabmale (…) durch die nutzungsberechtigten Personen zu entfernen.« *

Ein zweites Leben für alte Grabsteine?

Entfernen oder entfernen lassen also – das sind die beiden Optionen. Wer sich für Erstere entscheidet und die Sache selbst in die Hand nimmt, dem eröffnet sich eine Reihe weiterer Möglichkeiten:

  • Umsetzen: Steinmetze bieten den Service an, Grabsteine vom öffentlichen (Friedhof) in den privaten Raum (z. B. den eigenen Garten) umzusetzen. Auf dem eigenen Grund und Boden sind garantiert keine Ruhezeiten einzuhalten – und Besitzer haben dort alle Freiheiten, die ihnen auf dem Friedhof verwehrt waren: zum Beispiel die Einrichtung eines privaten Gedenkortes ganz nach eigenen Vorlieben.

  • Wiederverwenden: Grabsteine lassen sich auf verschiedenste Art und Weise umarbeiten: zum Beispiel durch Abschleifen der Gravur oder Aufbringen einer Platte mit einer neuen Inschrift. Der Wiederverwendung als Familiengrabstein sind nur dann Grenzen gesetzt, wenn die Friedhofsverwaltung ein Zertifikat für den Stein verlangt. Aber wer sagt eigentlich, dass die Grabplatte nach der Umarbeitung nicht einem ganz anderen Zwecke dienen kann? Aus dem Stein kann z. B. auch eine Tischplatte oder die Sitzfläche einer Bank werden.
  • Verkaufen: Mögliche Abnehmer von Grabsteinen sind wiederum Steinmetze, die den Stein neu aufarbeiten. Voraussetzung dafür ist, dass es keine dünne Steinplatte ist und dass der Stein gut erhalten ist.

Zerstörung des Grabsteins und mögliche Folgen

All diese Optionen erfordern Eigeninitiative, sind zum Teil aufwendig, zeitintensiv und kostspielig. Daher beauftragt die Mehrheit dann doch lieber die Friedhofsverwaltung damit, den Stein entsorgen zu lassen. Manchmal geschieht das aus Pragmatismus. Oft jedoch geschieht es, weil die Betroffenen, wenn der Brief von der Friedhofsverwaltung eintrifft, überfordert sind und die Dimension der Entscheidung nicht abschätzen können.

Dabei beschwört die Leere, die nach der Entfernung an die Stelle des Grabmals tritt, oft schmerzliche Erinnerungen herauf. Zudem sollte sich jeder bewusst machen, dass bei der Entfernung der Grabmäler oft nicht zimperlich vorgegangen wird. Zu sehen, wie ein Grabmal entfernt wird, das man für Jahre und Jahrzehnte mit viel Liebe gepflegt hat, kann richtig wehtun. Im ungünstigen Fall überlagern bei den Hinterbliebenen Bilder der Zerstörung und der Vergeblichkeit das Andenken an den oder die Verstorbene.

Neue Wege gehen: Die Initiative „Ewig anders“ in Ditzingen

Dass es auch anders geht – originell, sensibel und respektvoll –, zeigt die Initiative „Ewig anders“ in Ditzingen (Baden Württemberg). Sie steht exemplarisch für einen modernen, selbstbestimmten Umgang mit Trauer- und Verlusterfahrungen. Dabei geht es auch darum, einer Verödung der Friedhöfe entgegenzuarbeiten und die passenden Antworten auf gesellschaftliche Herausforderungen zu finden. Das Überangebot an Flächen, die wachsende Mobilität in den Familien und deren Folge für die Grabpflege sowie die sich grundlegend wandelnden Bedürfnisse von Trauernden erlauben längst kein business as usual mehr.

Doch nicht nur der Einfallsreichtum und die Kontinuität über mehrere Jahre sind an dieser Initiative bemerkenswert. Auch die Tatsache, dass der Impuls aus der Bürgerschaft selbst kommt, lässt aufhorchen. Wenn es keine Institution gibt, die ansprechende Lösungen für diese „letzten Fragen“ anbietet, so die Botschaft aus Ditzingen, dann nehmen wir die Sache eben selbst in die Hand.

In den vergangenen Jahren entstand in ehrenamtlichem Engagement bereits ein „Garten der Erinnerung“. Dabei wird eine Projektfläche auf dem örtlichen Friedhof u. a. unter Verwendung von Grabsteinen immer wieder neu gestaltet.

Das neueste Projekt ist ein mit alten Grabplatten gepflasterter Weg. Die Steine werden nach Entfernung der Namen angepasst und verlegt. Vorbild für das Vorhaben ist ein ähnliches Projekt im Alten Friedhof in Sindelfingen.

Man kann dieser Initiative nur wünschen, dass das dafür nötige Geld schnell zusammenkommt – eine Spendenaktion läuft gerade. Noch wichtiger wäre, dass sich viele Nachahmer überall im Land finden, die ebenfalls neue Wege im Umgang mit alten Steinen gehen.

www.ewig-anders-ditzingen.de

* Aus der Satzung der Zentralen Friedhofsverwaltung Dresden

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