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Was geholfen hätte – Rückblick einer verwaisten Doula

Inzwischen sind sieben Jahre seit dem Moment vergangen, dass ich unseren Sohn Jonathan im zehnten Schwangerschaftsmonat loslassen musste. Seither sind nicht nur einige weitere Jahre voller Sehnsucht vergangen, sondern auch Jahre mit weiteren frühen Schwangerschaftsverlusten. 7 Jahre voll Vermissen, aber auch volle 7 Jahre mit vielen Erfahrungen, Ups and Downs und ganz viel Weitblick. Und mit einem Blick zurück auf damals, möchte ich sagen, dass ich für all das Wissen von heute sehr dankbar gewesen wäre.

Was geholfen hätte – Rückblick einer verwaisten Doula

© Corinna Hansen-Krewer

Mit der Diagnose, mit dem Ausspruch des Arztes „Ihr Kind lebt nicht mehr“, bricht bei allen Eltern die Welt zusammen. Es sind nur ein paar Wörter, die ein komplettes Leben verändern. Das bedeutet, dass in einem solchen Augenblick die Lebensträume zerplatzen, im Kopf sich alles zu drehen beginnt und das eigene Herz nicht mehr in seinem Takt schlägt.

Die Zeit im Krankenhaus lief an uns vorbei, wir realisierten kaum, was uns geschah. Wir lagen wie betäubt nebeneinander in den aneinander gestellten Betten und schauten Fernsehen. Die eingeleiteten Wehen waren stark und ich merkte, dass ich mich dagegen wehrte. Meine Angst war zu groß vor dem, was kommen würde.

So im Nachhinein betrachtet, glaube ich, hätte geholfen, ungefähr darüber Bescheid zu wissen, was auf uns zukommen würde. Es hätte mir sehr geholfen, mich auf diese besondere Geburtsreise einzulassen. Es hätte geholfen, wenn man uns nicht nur „kurz“ Zeit eingeräumt hätte, um nach Hause zu fahren um dort Bescheid zu geben, sondern uns die Entscheidung überlassen hätte, ob oder wann wir wieder zurückkommen. Oder ob wir einfach in unserem bisher beschützten zu Hause noch Zeit zum Realisieren und für einen Abschied gebraucht hätten.

Es hätte mir persönlich geholfen, wenn ich darauf vorbereitet worden wäre, dass es selbstverständlich möglich ist, dass mein Mann die Nabelschnur abtrennen darf nach der Geburt – wie bei unserem ersten Kind. Hier hätte ich mir genau diese Betonung gewünscht, weil es signalisiert hätte, dass unsere beiden Kinder gleichwertig waren und dass diese Geburt die gleiche Wertigkeit hätte.

Es hätte geholfen, früh und deutlich genug erklärt zu bekommen, dass wir alle Zeit der Welt haben werden, um unseren Sohn im Empfang zu nehmen und kennenzulernen. Dass wir Hand- und Fußabdrücke machen lassen können, eine Haarsträhne zur Erinnerung mitbekommen werden. Leider wurden wir auch nicht gefragt, ob wir unseren Sohn – wohl das einzige Mal – waschen und anziehen wollen.

Ich denke, bereits im Krankenhaus sollte jeder mit vollem Bewusstsein Kleine und Stille Geburten begleiten, dass es das einzige Mal sein wird, dass Eltern Zeit mit ihren Kindern verbringen werden. Dass es die einzigen Momente sein werden, in denen es möglich sein wird, Erinnerungen zu schaffen. Und gerade hier wäre es wichtig, einen vollen Korb mit vielen Ideen hierfür auszupacken. Da man häufig nicht weiß, wie gut ein Krankenhaus im Bereich der Stillen Geburten aufgestellt ist, wie erfahren das Personal ist und wie gut vorbereitet das Personal ist, wäre das Hinzuziehen einer Doula eine Möglichkeit, die emotional und empathisch begleiten und das Paar vollends auf die Eventualitäten vorbereiten kann. Zudem kann ihre Präsenz das medizinische Personal entlasten.

Unterstützung im neuen Alltag

Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus hielt unser Schockzustand an, da es keine Ruhe und Auszeit für uns gab: Wir mussten die Beerdigung planen und alles, was mit dem Abschied unseres Sohnes zu tun hatte. Wir absolvierten die Treffen mit der Bestatterin gemeinsam als Ehepaar, als Eltern und fühlten uns dennoch im Herzen sehr alleine. Wir funktionierten. Den Beerdigungskaffee übernahm die Familie meines Mannes, was uns die Situation unheimlich erleichterte. Ich denke, wir hätten weitere Angebote zur Unterstützung bei der Vorbereitung der Beerdigung damals gerne angenommen.

Hilfreich war es für uns, als ein befreundetes Pärchen uns für einen Nachmittag unseren großen Sohn abnahm um mit ihm etwas zu unternehmen: Einerseits wurde er an diesem Tag abgelenkt und andererseits erleichterte es uns, einfach mal loslassen und schwach sein zu dürfen. Denn natürlich versucht man als Eltern auch für weitere Kinder stark zu sein und ihnen dadurch Halt und ein wenig Normalität zu geben. Oftmals vergisst man dabei aber, dass man selbst auch in Trauer ist und eigentlich diese ausleben müsste um sie zu bearbeiten zu können. Daher kann ich jedem ans Herz legen, Unterstützung bei Geschwisterkindern anzubieten.

© Corinna Hansen-Krewer​

Mit dem heutigen Abstand und weiterer Erfahrung mit dem Thema Trauer kann ich rückblickend sagen, dass Kommunikation und direkte Angebote zur umfangreichen Unterstützung hilfreich gewesen wären. Angefangen bei den wöchentlichen Einkäufen gerade in der Anfangszeit, vor denen man sich häufig gerne drücken wollte, da es einen großen Kraftaufwand darstellte, nie zu wissen, auf wen man unterwegs treffen wird und wer möglicherweise Fragen stellt, auf die man unvorbereiteterweise keine Antwort hat. Hier ist es sinnvoll, die Eltern um eine Einkaufsliste zu bitten um ihnen diesen Gang komplett abzunehmen.

Durch viele Begleitungen von Sterneneltern weiß ich heute, wie froh und dankbar viele für die Abnahme von anstehenden Terminen sind: Einschulungen von Geschwisterkindern, Arztbesuche, Kindergeburtstage. Aber viele berichten aber auch, wie hilfreich es war, wenn einfach zwischendurch ein gekochtes Essen vor der Tür stand. Gerade in der Anfangszeit fehlt die ganze Kraft für den Tag und häufig wird darauf verzichtet, was am arbeitsaufwändigsten ist: die Essenszubereitung.

Des Weiteren darf auch im weiteren Verlauf immer wieder Hilfe angeboten werden: Besuche auf dem Friedhof oder bei der Neu-Gestaltung des Grabs. Oftmals zaubert es ein Lächeln auf die Gesichter der Eltern, wenn man eine Kleinigkeit anbietet, um diese mit aufs Grab zu stellen: Sozusagen als ein kleiner Gruß. Abraten würde ich von Eigeninitiative ohne Absprache mit den Eltern, denn das Grab ist das Einzige, was sie für dieses Kind noch in Liebe herrichten können und möglicherweise auch wollen.

Auch das Sternenkind begleitet uns im Leben

Ich möchte zudem die Menschen gerne ermutigen, Zeichen zu setzen: Erinnert zu werden an das Kind wird oft sehr dankbar als schönes Gefühl beschrieben. Den Namen zu nennen. Vorsichtige und empathische Fragen, wie alt das Kind inzwischen wäre und die Überlegung, wie es denn inzwischen wohl aussehen würde. Und dass es eben ganz schön fehlt im Leben. Sicherlich kann man davon ausgehen, dass Gespräche mit Tränen und weiteren Emotionen begleitet werden, aber auch hier kann ich nur ermutigen:

Die Tränen und die Trauer sind ohnehin präsent, pausenlos. Durch Fragen und die Erwähnung des Kindes vergrößert man keine Trauer, man schenkt den Eltern ein Ventil für all das angestaute Empfinden, was so dringend auch mal an die frische Lust muss. Hier braucht es einfach Mut und ein offenes Herz um auszuhalten. Kein Weglaufen oder das Ignorieren von Gefühlen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass dies die Umstände für die Betroffenen nur noch schlimmer macht: Man fühlt sich ohnehin in einem Ausnahmezustand und eingegliedert zu werden in die Mitte der Gesellschaft hilft unheimlich.

Auch das Erinnern an fehlende Kinder innerhalb des Familiensystems an besonderen Tagen lässt es für Sterneneltern erträglicher sein: Ein schönes Ritual, welches beispielsweise an Weihnachten, wenn gewünscht mit der Familie gemeinsam vollzogen werden kann, ist das Abschneiden eines Zweiges aus dem Weihnachtsbaum, um zu zeigen, dass eben etwas fehlt. Dieser Ast darf dann dekoriert in eine Vase auf das Grab des Kindes gestellt werden, um hier einerseits auch die weihnachtliche Stimmung aufkommen zu lassen und andererseits die Verbindung zur Familie und dem Zuhause herzustellen. Erfahrungsgemäß erfreuen sich Geschwisterkinder immer sehr an Ritualen, um ihrem toten Geschwisterchen nahe zu sein.

Ebenso darf das Grab stimmungs- und jahreszeitabhängig dekoriert werden und auch hier darf gerne Beistand angeboten werden.

Unterstützung für Sterneneltern – Wichtiger Halt und Liebevolle Geste

Erfahrungsgemäß sind Sterneneltern dankbar für jede Unterstützung, die sie bekommen können und hier ist es wertvoll, anzuerkennen, dass die Trauer unabhängig von der Schwangerschaftswoche präsent sein- und auch in all ihrer Facetten gelebt werden darf. Viele Sterneneltern erleben einen frühen Schwangerschaftsverlust und hier bedarf es ein Umdenken in der Gesellschaft. Häufig wird die Trauer nach einer Fehlgeburt runtergespielt und somit den Eltern in Abrede gestellt. Dennoch bedeutet auch das frühe Gehenlassen einer Schwangerschaft der Verlust von Träumen, Wünschen, Lebensplanung, Sehnsüchten – der Verlust des geliebten Kindes, auf welches das Paar möglicherweise schon lange in Liebe gewartet hat.

Die Trauer kommt häufig unvorbereitet und dann in Wellen und es hilft, diese fließen zu lassen, anstatt sich dagegen zur Wehr zu setzen, auch wenn das Aushalten dieser starken Emotionen anstrengend sein kann: Aushalten und erleben heißt die Devise und das klappt am besten mit starken Armen, die einen halten und offenen Ohren, die einem in Liebe und mit Verständnis Gehör schenken.

Zur Autorin:
Corinna Hansen-Krewer lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Trier, wo sie als Doula und Autorin arbeitet. Seit über 5 Jahren begleitet sie Frauen über ihre Kleinen Geburten und Fehlgeburten auf natürlichem Weg und bietet die Fortbildung „Emotionale Begleitung von Kleinen Geburten“ an. Das Ziel ihres Buches war es, dass Stille und Kleine Geburten die gleiche Wertigkeit bekommen, wie Lebendgeburten. Sterneneltern sollen als Eltern angesehen werden und die Gesellschaft sollte lernen, diese besser zu integrieren. Mehr Informationen zu ihr und ihrer Arbeit: https://soul-feelings.de/

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