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„Sechswochenamt“ heißt das autofiktionale Drama der kaum 30-jährigen Filmemacherin Jacqueline Jansen. Der Titel ist angelehnt an das Sechswochenamt; in der römisch-katholischen Kirche eine heilige Messe, die sechs Wochen nach dem Tod oder dem Tag der kirchlichen Begräbnisfeier zum Gedenken an den Verstorbenen gefeiert und als Läuterungshilfe für die armen Seelen im Fegefeuer verstanden wird.
In 24 Tagen drehte Jacqueline Jansen für nur 96.000 Euro in ihrer Heimatstadt Erkelenz mit professionellen Schauspieler*innen und vielen Laien ihren ersten Spielfilm. Das bescheidene Budget sammelte sie mühsam ein. Darsteller*innen und Produktionsteam verzichteten auf ihr Honorar.
Der persönliche Weg zum Abschied
Von vorne: Lore ist im Frühjahr 2020 – der erste Lockdown der Corona-Pandemie naht (das Toilettenpapier wird bereits knapp) bei ihrer Mutter. Die Mutter stirbt. Lore ist bei ihr; Sophie, ihre ältere Schwester, nicht: keine Zeit – die Arbeit, das Geld und überhaupt. Sophie floh schon vor Wochen vor dem, was unumgänglich war. Die Mutter erkrankte unheilbar an Krebs.
In Erkelenz lebt noch Lores Oma; die Mutter der Mutter. Die Oma ist skeptisch, als Lore ihr die letzten Pläne ihrer Mutter vorstellt. Einen weißen Sarg, kein Grab auf dem Friedhof, einen Spruch eines Autors für die Todesanzeige, den die Oma nicht kennt; keine üblichen Formulierungen von Liebe und Dankbarkeit oder tiefer und aufrichtiger Trauer. Die Namen der Angehörigen fehlen. Lore gestaltet die Anzeige selbst. Die Schrift ist bunt. Alles ist anders. „Unmöglich! Was sollen die Leute sagen?“, so der Kommentar der Oma. Das ist nicht alles. Verstreut meine Asche, ist ein weiterer Wunsch der Mutter; am besten im Mittelmeer, wenn nicht dort, dann auf einem Acker vor der Stadt. Lore nimmt die letzten Wünsche ihrer Mutter ernst. Die Oma will ihre Tochter lieber so in Erinnerung behalten, wie sie ihre Tochter lebend sah. Zum Abschied noch einmal ans Sterbebett ins Hospiz gehen, will sie nicht. Lore geht allein.
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Das Leben in Erkelenz geht weiter
Der örtliche Bestatter erkennt als routinierter Sargverkäufer schnell, dass bei Lore (finanziell) nicht viel zu holen ist. Sie will keinen teuren Sarg, keine aufwendige Aufbahrung, keinen Bläserchor, kurz: keine große Leiche. Ein preiswerter Sarg wird in weiße Leinentücher gepackt. Fertig. Die Anzeige erscheint in bunter Schrift und ohne die üblichen Phrasen.
Das Leben geht weiter. Die Oma sucht nach Geld in den Kondolenzkarten („Wat drin?“). Die Schwester bleibt unsichtbar („Ich schaffe das nicht.“). Dem Onkel fehlen nicht nur die Helfer zur anstehenden Spargelernte, er sorgt sich vor allem um das Frikassee, das seine Frau pünktlich servieren will. Der Herr Pastor (so nennt man den Ortsgeistlichen im Rheinland) ist eher an der neuen Waschmaschine („von Miele?“) und den alten Möbeln („Vollholz“) für billiges Geld als Lores Schicksal interessiert. Dass Lore vom Fußvolk des Herrn übers Ohr gehauen wird, spricht weder für ihn noch für seine Auftraggeber. Eine Trauerrednerin klappt panikartig ihr Auftragsbuch zu, als sie von Lores „holländischem“ Weg erfährt. Herr Küppers, der sargverkaufende Bestatter, konnte ihr helfen. Einmal Holland und zurück heißt der von ihm vorgeschlagene (illegale) Weg. „Kostet kaum mehr“, beruhigt er Lore geschäftstüchtig; vorerst. Der reichen als Zeremonie – zunächst – zwei Luftballons, die sie bei ihrem letzten Besuch der toten Mutter im Hospiz mitnimmt.
Nach sechs Wochen kommt die Urne mit der Asche zurück. Rein in den Beutel. Die (anders als versprochen ausfallende) Rechnung kommt gleich mit in die Tüte. Alles ist vorbei? Für Lore ist nichts vorbei. Für alle anderen gibt es endlich Kaffee und Kuchen; Erdbeerkuchen! Das Bild der Mutter steht akkurat auf einem Hausaltar. Die Kerzen brennen. Jetzt wird (richtig) getrauert. Lore – fantastisch gespielt von der erst 27-jährigen Magdalena Laubisch – sitzt (geläutert?) allein im Zimmer nebenan.
Ein Film über den Umgang mit der Trauer
Der Debütfilm Sechswochenamt der Autodidaktin Jacqueline Jansen – nur über Praktika (Regie- und Produktionsassistenz bei „Babylon Berlin“) hat sie das Filmemachen gelernt – ist ein souveräner und einfühlsamer Film über den Umgang junger Menschen mit dem Gefühl der Trauer. Entstanden ist ein Film ohne falsches Pathos, missionarischen Eifer oder erhobenen Zeigefinger; dafür „zum Weinen und Lachen“, wie Jacqueline Jansen selbst sagt. Der Berliner Kameramann Markus Ott unterstützt dies mit einer sensiblen und aussagekräftigen Bildsprache.
Ohne eine Filmhochschule besucht zu haben, hat Jacqueline Jansens einen Film über das Sterben, den Tod und das Leben gedreht, der zeigt, dass sich heute niemand die gute Manier des richtigen Abschiednehmens mehr diktieren lassen muss. Erkelenz ist überall.
Premiere feierte der mit dem Förderpreis Neues Deutsches Kino in der Kategorie „Beste Produktion“ ausgezeichnete Film beim 42. Münchner Filmfest. Magdalena Laubisch wurde für die Hauptrolle in der Kategorie „Beste Schauspieler*in“ ausgezeichnet. Finanziell unterstützt wurde die Produktion unter anderem von der Kunstgießerei Strassacker und der „Initiative Raum für Trauer“, namentlich von Edith Strassacker und Günter Czasny. So steht es im Abspann. Sehenswert? Unbedingt!
Zum Autor: Willy Hafner ist kein bekennender Freund der Trauer-Community. Der Film von Jacqueline Jansen hat ihn gerade deswegen beeindruckt. Viele Jahre war er Zeitschriftenredakteur. Seit 2015 arbeitet er im Team der Initiative Raum für Trauer.
Auszeichnungen und Preise
Am Freitag, den 04.07.2025 wurde der Förderpreis Neues Deutsches Kino in vier Kategorien vergeben: Beste Produktion, Beste*r Schauspieler:in, Bestes Drehbuch und Beste Regie. Über die Auszeichnung entscheidet jedes Jahr eine dreiköpfige Jury – 2025 setzte sich diese zusammen aus dem Regisseur Jan-Ole Gerster, der Schauspielerin Liliane Amuat und dem Schauspieler, Drehbuchautor und Regisseur Erol Afşin. Der Förderpreis Neues Deutsches Kino ist einer der wichtigsten und höchstdotierten Nachwuchspreise in Deutschland. Gestiftet wird der insgesamt mit 70.000 Euro dotierte Preis von der Bavaria Film, dem Bayerischen Rundfunk und der DZ Bank.
Beste Produktion:
Jacqueline Jansen für SECHSWOCHENAMT
Die Jury:
„Es gibt Filme, die unter besten Bedingungen entstehen: mit Förderung, Senderbeteiligung, Hochschulen – und Freund*innen, die an einen glauben. Doch manche Filme entstehen nicht aus einem System heraus, sondern aus einem inneren Drang. Aus dem Wunsch, etwas Persönliches zu erzählen. Es ist schwer, einen Film zu machen – und noch schwerer, ihn allein zu beginnen: ohne Geld, ohne Rückhalt, nur mit der eigenen Überzeugung. Doch irgendwann braucht es Mitstreiter*innen, ein Team, das mitträgt, mitdenkt, mitmacht – oft unter Zeitdruck, in Unsicherheit, aber mit Würde. Ein solcher Film ist SECHSWOCHENAMT. Getragen von einem kleinen Team und angetrieben von Leidenschaft, erzählt er mit einer signifikanten emotionalen Dichte von Trauer, familiären Spannungen und Sprachlosigkeit. Die Reduktion auf das Wesentliche bringt eine Tiefe hervor, die berührt – roh, echt und menschlich. Für diese beeindruckende Mischung aus künstlerischer Klarheit, emotionaler Kraft und beeindruckender Eigenständigkeit geht der Produktionspreis an: SECHSWOCHENAMT.“
Beste Schauspielerin:
Magdalena Laubisch für SECHSWOCHENAMT
Die Jury:
„In dem Film SECHSWOCHENAMT von Jacqueline Jansen begleiten wir Lore durch die ersten Tage nach dem Tod ihrer Mutter. Sie kämpft gegen absurde Bürokratien, die pandemiebedingte Isolation und ihre eigene Trauer an.
Magdalena Laubisch spielt diese Figur ohne Sentimentalität, mit stiller Kraft, großer Präzision und beeindruckender Durchlässigkeit. Sie liefert sich ihr vollkommen aus, sie durchlebt verschiedenste emotionale Stadien, von unterdrückter Wut wegen eines zugefrorenen Autos bis zur Panikattacke in der Dusche, aber auch in belanglosen Alltagsmomenten bleiben wir an ihr hängen und verfolgen jede ihrer Regungen. Scheinbar unaufwendig nimmt sie uns mit auf diese Reise. Ihr Spiel ist intim, aber nicht privat. Manchmal erscheint ihre Haut fast durchsichtig, als könne man in sie hineinsehen. Liebe Magdalena, wir freuen uns, dich noch oft auch der Leinwand bestaunen zu können.“
Auszeichnung mit dem FIPRESCI-Preis
Seit 2015 verleiht der internationale Verband der Filmkritik – FIPRESCI – einen Preis auf dem FILMFEST MÜNCHEN in der Sektion Neues Deutsches Kino. Er geht dieses Jahr an „SECHSWOCHENAMT“ von Jaqueline Jansen.