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Kunst und Kochen als Türöffner in ein neues Leben

Wer einen lieben Menschen verloren hat, für den können kleinste Alltagstätigkeiten zur Herausforderung werden. Wenn der Schmerz das eigene Leben aus den Fugen bringt, helfen Trauerbegleiter wieder Lebensmut zu fassen. Eva Kersting-Rader ist eine von ihnen. Ihr Wunsch: Trauernde sollten sich viel eher Hilfe suchen.

Kunst und Kochen als Türöffner in ein neues Leben

Trauernde sollten sich viel eher Hilfe suchen

„Oft kommen die Menschen sehr spät zu mir, wenn in der Familie schon starke Probleme aufgetreten sind, die Kinder zu kurz kommen oder man seinen Job nicht mehr so ausfüllen kann, wie es erwartet wird. Viele denken, sie müssen die Trauer allein bewältigen, doch die Erfahrung zeigt, dass dies oft nicht geht. Im System Familie verändert sich sehr viel, wenn ein Familienmitglied stirbt“, sagt Eva Kersting Rader. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet sie in der nordrhein-westfälischen Kleinstadt Rees als Bestatterin und Trauerbegleiterin.

Trauer ist das Geschwisterkind der Liebe

Wenn ein Verlust eines Menschen schmerzt, wird für die Hinterbliebenen schon allein das morgendliche Aufstehen schwierig. Die beruflichen Herausforderungen zu meistern und die täglichen Aufgaben zu bewältigen, lässt oft keine Zeit für eine aktive Auseinandersetzung mit dem Verlust zu.

„Neben Freude und Liebe gehören Trauer und Schmerz zu den vier Grundgefühlen des Menschen. Das Geschwisterkind der Liebe ist nun einmal die Trauer. Wenn trauernde Menschen es schaffen, all diese Gefühle zu leben, haben sie viel gewonnen.“ Das beginnt mit einfachen Fragen: Was brauchst du, um gut schlafen zu können oder einsame Sonntage besser zu meistern? Was tut dir selbst besonders gut?

„Früher haben die Kirche, die Nachbarn, die Familie geholfen. Aber diese Stützpfeiler brechen in einer zunehmend anonymisierten und schnelllebigen Welt immer mehr weg. Nachdem ich in meinem privaten Umfeld selbst erfahren habe, wie sehr eine Familie unter einem solchen Verlust leidet, wollte ich etwas ändern und habe mich zur Trauerbegleiterin qualifizieren lassen“, erzählt sie. Ziel ist es, dass es den Trauernden gelingt, den Verlust irgendwann als Lebensereignis zu integrieren.

Die Bestatterin und Trauerbegleiterin Eva Kersting-Rader wünscht sich, dass es Trauernden besser gelingt, einen Verlust ins eigene Leben zu integrieren

 

Beerdigung ohne Beruhigungspille

Die Begleitung auf schweren Wegen gehört für Eva Kersting-Rader ebenso zu ihrer Berufung. „Viele empfinden eine innere Sperre, an das Grab des Verstorbenen zu gehen. Dann gehen wir mit und helfen, den neuen Weg zu finden.“

Am Herzen liegt ihr dabei der bewusste Abschied im Rahmen einer Beerdigung. „Wir versuchen Ärzte und trauernde Menschen darüber aufzuklären, dass es keine Tablette braucht, um eine Beerdigung durchzustehen. Beruhigungspillen nehmen den Menschen so viel. Natürlich tut Verabschieden weh. Aber wenn Schmerz gut gelebt wird, bietet der Tag eine Chance für eine gute Trauerarbeit und damit für einen guten Weg in ein neues Leben.“

Die Hilfe der Trauerbegleiter kann auch ganz pragmatisch aussehen: mal geht es um Kontaktvermittlungen zu Schuldnerberatern oder Behörden, mal um die Aufklärung in der Schule der Kinder oder beim Arbeitgeber. „Wir vermitteln dann, wenn der trauernde Mensch sich den Gang allein nicht zutraut. Aus meiner Sicht ist es immer von Vorteil, wenn alle darüber Bescheid wissen, dass jemand in Trauer ist.“ Manchmal geht es auch einfach darum, dass der Trauernde ihr jederzeit eine Mail schreiben kann. „Nicht alle erwarten eine Antwort. Sie suchen einfach einen würdigen Empfänger für etwas, das sie aufschreiben möchten.“

Zeichnen und Kochen in der Trauergruppe

Wer lieber allein trauert, den begleitet Eva Kersting-Rader individuell. Sie bietet aber wie viele ihrer Berufskollegen auch Trauergruppen an. „Die Menschen wissen zwar, dass sie nicht allein sind, aber sie fühlen es nicht. In unseren Gruppen gehen sie ein Jahr lang den Weg gemeinsam mit Personen, die den gleichen Schmerz empfinden. So entsteht wirklich das Gefühl, nicht allein zu sein. Im besten Fall entwickeln sich neue Freundschaften.“

Mit Kunst- und Kochabenden bringt Eva Kersting-Rader die trauernden Menschen einander näher. „Die Kunsttherapie ist ein sanfter Weg, sich mit Tod und Trauer auseinander zu setzen. So malen die Trauernden zum Beispiel den Weg vom Tod ihres Partners bis heute und formulieren Wünsche für die Zukunft.“ Eine Dame zeichnete einen Weg von einem gebrochenem zu einem heilenden Herzen. „Dann frage ich: Was brauchst du, damit es wieder heilt? Die Frau hat dann einen neuen Mann dazwischen gemalt. So reift die Erkenntnis über die eigenen Wünsche. Wenn sie das erkennen, ist meine Arbeit erfolgreich. Ich habe dann eine Tür geöffnet, durch die derjenige noch selbst durchgehen muss. Wenn sich jemand zum Beispiel eine neue Partnerschaft wünscht, dann kann er nicht zuhause sitzen bleiben, sondern muss sich wieder unter Menschen begeben.“

Mit gemeinsamen Kochabenden erwirkt Eva Kersting-Rader ebenso, dass sich Menschen wieder um ihre eigenen Bedürfnisse kümmern. „Kommen neue Teilnehmer zur Gruppe, kochen die bestehenden Mitglieder für die ‚Neuen‘. Das Kochen steht symbolisch dafür, sich selbst wieder gut zu versorgen und das heilt.“

Wie finde ich einen Trauerbegleiter?

  • Bundesverband Trauerbegleitung: https://bv-trauerbegleitung.de/
  • Bundesverband Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister in Deutschland: https://www.veid.de/
  • Trauerbegleiter, die hier aufgeführt werden, haben eine spezifische Qualifizierung für die Trauerbegleitung. Da die Bezeichnung nicht geschützt ist, sollten Trauernde auf eine fundierte Qualifizierung achten.

Was kostet ein Trauerbegleiter?

Es gibt keine festen Honorarsätze für Trauerbegleiter. Diese werden individuell vereinbart. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten nicht. Wie oft ein Trauerbegleiter zum Einsatz kommt, entscheidet der trauernde Mensch. Möglich ist eine einmalige Begleitung im Vorfeld und bei der Beerdigung ebenso wie eine langfristige Betreuung über ein Jahr oder länger.

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