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Trauer Zweiter Klasse?

„Anfangs habe ich mich dafür geschämt, dass mir der Tod meines Hundes den Boden unter den Füssen weggezogen hat. Darf man die Trauer um ein Tier mit der um einen Menschen gleichstellen?“

Trauer Zweiter Klasse?
www.facebook.com/halloffamestuttgartbadcannstatt Foto: gz
Sie hat ihre Mutter mehr als zehn Jahre gepflegt, war bei ihr bis zum letzten Atemzug – und der Hund immer an ihrer Seite; oft lag er unter der Decke am Fußende des Bettes der Mutter. „Er wärmt deine Füße“, meinte die Tochter und fand, dass angesichts der Endlichkeit des Lebens Hygiene erst weit nach dem Wohlfühlfaktor komme.

Als die Mutter starb, hat sie sie gewaschen, gekämmt und neu eingekleidet in ein weißes Kleid; das hatte ihre Mutter sich genauso gewünscht. Auf Weiß sieht man Hundehaare von einem fast schwarzen Tier besonders gut; auch das fand die Mutter vollkommen in Ordnung, denn die Tochter hatte sie gefragt, ob sie mit allem zufrieden sei, so wie es nun ist.

Es tut gut, in dieser Zeit, in dieser Schleusenzeit, zwischen Eben-noch-gepflegt und Nun-ist-der-Tod-wirklich-da mit dem Menschen, den man liebt, sorgsam umzugehen, auch mit der Verstorbenen zu sprechen – aber auch zu spüren, wie der Körper seine Temperatur verliert. Es macht den Tod im wahrsten Sinn be-greifbar.

Bei der Trauerfeier hat die Tochter geweint, nicht lang, aber heftig; denn der Tod der Mutter war für alle auch eine Art Erlösung. Und sie haben es alle zusammen zu einem friedlichen Ende gebracht. Das fand auch der Hund.

„Es ist ein wilder Schmerz – was geschieht da gerade mit mir?“ – Diesen Satz schrieb sie vier Jahre später in einer E-Mail an mich. Sprechen fiel ihr schwer, darum bat ich sie, die Geschichte aufzuschreiben. Der schwarze Hund war gestorben – musste ganz überraschend eingeschläfert werden. Um das „gute Ende“ ein wenig vorwegzunehmen: Die Mutter war auf einem Friedhof beigesetzt worden, dessen Verantwortliche sich Mitte des Jahres 2020 dazu entschlossen hatten, dass auch Tiere, in den Gräbern ihrer Menschen-Familien, bestattet werden dürfen.

„Ein wilder Schmerz“

Der Welpe war erst wenige Wochen alt, als er, dem vermeintlichen Tod preisgegeben, von einer Tierretterin gefunden wurde. Die Dame, die ihn nach Deutschland brachte, war eigentlich Katzenretterin; folglich landete er zuerst bei ihren dreiunddreißig dreibeinigen, einäugigen und nicht zu vermittelnden Katzen und wurde neun Monate lang von ihnen hingebungsvoll sozialisiert. Er lernte, sich zu putzten, täglich und ausgiebig. Er wurde beschmust und schmuste zurück – und er roch immer nach frischem Heu, auch wenn er nass war! Er schnurr-knurrte, wenn er sich besonders wohl fühlte. Er wuchs zweisprachig auf: Wau-Miau. Was bei anderen Hunden und ihren Herr*Frauchen zu mancherlei Missverständnis-Auseinandersetzungs-Erklärungen führte. Apropos: Die Hunde hatten sich unterdessen schon längst wieder spielend verstanden.

Unsere erste Begegnung war demgemäß hypnotisch: unwidersprochene totale Anziehung auf beiden Seiten. Er hatte mich erwählt! Ich sagte: Jaaaaa! – Hirn an Gefühl: Spinnst du jetzt total? Ein Hund passte überhaupt nicht in mein Arbeitsleben; ich bin selbstständig als Restauratorin und viel in Museen. Hunde dürfen nicht in Museen. Er durfte! Weil er der nicht unverhofft an teure Exponate pieselnde Begleiter an meiner Seite war. Vieles wird tatsächlich gangbar, wenn man es wahrhaftig wünscht – und auf eine liebenswürdige Art zäh bleibt.

Da er schon 9 Monate alt war, als wir uns begegneten, hatte er bereits einen Namen, den ich nicht mochte: Speedy. Dieser Anglizismus als Namensgeber war nachvollziehbar: Windhund, rennt ununterbrochen und furchtbar schnell, folglich: Speedy. Bei mir haben Gefühle die Oberhand; und naheliegend klischeehafte, also „schubladisierende“ Gedankengänge sind mir suspekt.

ANUBIS, der ägyptische Totengott

Ich fand, mein geliebter SPEEDY sah aus wie ANUBIS, der ägyptische Totengott.

Frage an mich: Will ich durch den Wald rennen und „Aaaa-nuuuuuu-bisssss“ brüllen?

Ich lebe im Schwäbischen, also adaptierte ich die Langversion von Speedy: „Schbiiii-där-riiich“! Viele glauben bis heute, dass der Hund FRIEDERICH hieß, wegen Schiller und weil wir mit Museen zu tun haben.

Vermeintlich habe ich immer auf ihn aufgepasst, aber in Wahrheit hat Speederich auf mich geachtet. Er war mein Tages-Taktgeber, mein Stundenlang-im-Wald-Mitläufer.

Wir kannten jedes Blatt mit Vornamen! Er war meine Sonnen-Seelenhälfte.
Dafür bin ich noch heute dankbar!

Speederich hat sich selbst das Lächeln beigebracht; was mir oft als völlig abgefahrener Dressur-Akt, fälschlicherweise, unterstellt wurde, bis ich Gemälde der Windspiele von Friedrich dem Großen vorzeigte und beweisen konnte, dass diese Art von Hunden von Haus aus Lächeln können. „Friedrich schrieb am 15. Juni 1748 an seine Schwester Wilhelmine von Bayreuth über seine Hündin: „Biche hat gesundes Urteil- und Auffassungsvermögen, und Tag für Tag sehe ich Leute, die sich nicht so folgerichtig zu benehmen wissen wie sie.“ 1752 starb Biche im Konzertsaal von Sanssouci. Der Tod der Hündin traf den König schwer, seiner Schwester Wilhelmine schrieb er später: „Ich war beschämt, dass der Tod eines Hundes mir so nahe geht.“ (Quelle: Wikipedia) 

Ich war froh, dass sich auch ein König traut, um sein Tier zu trauern.

„Trauer ist absolut sozial. Sie macht uns alle gleich.“

Lange Zeit hatte sie, die Tochter, geglaubt, dass ihre Trauer um den Hund nur eine zweitrangige sein darf. Aber Trauer ist absolut sozial. Sie macht uns alle gleich.

Die Tochter sprach von einem überraschend wilden Schmerz: einem Schmerz, der beim Tod ihrer Mutter zuerst nicht da war. Heute weiß sie, dass alles seine Richtigkeit hatte.

Ich habe Achtung vor der Kraft des Gefühls; es hat nichts mit Schwäche zu tun. Bei Donna Leon („Stille Wasser“, Diogenes Verlag) gibt es einen Schlüsselsatz, der exakt beschreibt, was nach dem Tod des Hundes mit der Tochter passierte:
„Trauer liegt in uns vergraben wie eine Landmine: Schwere Schritte stapfen folgenlos daran vorbei, während andere, die kaum den Boden berühren, sie zur Explosion bringen.“

Anscheinend hatte auch sie einiges an alter, nicht gelebter Trauer in ihrem Seelenkabinett eingelagert. Mein Verdacht ist, wenn das Seelen-Silo voll ist und fast am Überlaufen, dann legt sich ein schützender Mantel um uns und packt die diversen Trauerfälle ein wenig zur Seite. Wenn es uns wieder besser geht, dann müssen wir diese „geparkten“ Trauer-Pakete anschauen und endlich um das trauern, was wir nie mehr so, wie wir es in diesem unserem physischen Leben geliebt haben, spüren werden.

Trauer ist eines der wichtigsten Gefühle, das wir besitzen. Es lässt uns nachreifen.

Heute geht es ihr, der Tochter und Hundebesitzerin, in dieser Etappe der alten und neuen Trauer so: Wenn sie etwas besonders Schönes sieht, dann lächelt sie sich selbst zu und sagt zu ihren verstorbenen Liebsten: „Schau durch meine Augen, du bist ein Teil von mir, denn das was ich liebe – ist wahrhaftig unsterblich“. Dieser Glaube, und das innere Lächeln, helfen ihr.

Gisela Zimmermann/Filmemacherin und Trauerbegleiterin
„Oh Schimmel,
Kommst nicht in Himmel!
Wird ein Frag sein;
Kommt dein Herr drein?“

// Inschrift auf dem Gedenkstein für die Stute Helene(1785-1812), die einen Herzog und einen König sicher durch alle Schlachten getragen hat.

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Immer mehr Friedhofsverwaltungen erlauben die Beisetzung der Asche der verstorbenen Haustiere im Grab der Menschen-Familien.

Wenn Sie mehr dazu erfahren wollen, fragen Sie bitte ihren Bestatter oder die zuständige Friedhofsverwaltung ihrer Kommune!

Viele Verwaltungen müssen erst auf diese „gute Idee“ gebracht werden. Unsere Empfehlung: Je öfter Sie nachfragen – desto schneller wird reagiert und hoffentlich auch genehmigt.

Gemeinsamer Friedhof für Mensch und Tier
Deutsche Friedhofgesellschaft mbH
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