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Tabuthema Nachtod-Kontakte

Die Schweizer Sterbeforscherin Evelyn Elsaesser erforscht seit 10 Jahren das Phänomen der sensorischen Wahrnehmung verstorbener Personen.

Tabuthema Nachtod-Kontakte

© ROSA FUX

Das Sprechen über Nachtod-Kontakte ist immer noch tabu. Man fürchtet lächerlich gemacht oder gar für verrückt erklärt zu werden. Eine wissenschaftliche Studie will sich dem Thema widmen und es aus der Esoterik-Ecke holen.

Als ihre Großmutter starb, war für Mercedes* das Leben vorbei. Sie wurde so krank, dass sie sich nicht mehr aus ihrem Bett erheben konnte. „Da war sie plötzlich. Mitten in der Nacht. Ich konnte sie nicht sehen, aber ganz deutlich konnte ich sie spüren! Die Matratze meines Bettes senkte sich unter ihrem Gewicht. Ihre Anwesenheit machte mir Angst und war mir gleichzeitig Trost.“

Zum Phänomen, dass sich Verstorbene bemerkbar machen und in Kontakt mit den Hinterbliebenen treten, gibt es bisher wenige empirische Untersuchungen. Mit ihrer aktuellen Studie will die Schweizer Sterbeforscherin Evelyn Elsaesser, gemeinsam mit Prof.  Chris Roe und Dr. Callum Cooper von der Universität Northampton und David Lorimer (Scientific and Medical Network) diese Lücke füllen. Das Team hat Erfahrungen von 1004 Betroffenen gesammelt, die in einem Online-Formular sehr detailliert etwa 200 Fragen beantwortet hatten.

Ein großes verstecktes soziales Phänomen

Die Studie soll dabei helfen, einem versteckten sozialen Phänomen auf die Spur zu kommen: dem Kontakt Verstorbener zu Hinterbliebenen. Sie versucht die Art und die Umstände des Kontaktes zu klären und welche Botschaften sie transportieren. Ein weiteres Ziel war es, mehr über die Auswirkungen auf die Betroffenen zu erfahren.

„Obgleich zwei Drittel der TeilnehmerInnen der Umfrage weiblich waren, bedeutet das nicht, dass Frauen solche Erfahrungen öfter erleben als Männer,“ sagt Elsaesser, „doch es fällt ihnen offenbar leichter, darüber zu sprechen.“ Die Forschung bestätigt, dass Männer und Frauen Nachtod-Kontakte etwa im gleichen Ausmaß erleben. Seit den 1970er Jahren weiß die Wissenschaft, dass etwa 50 bis 60 Prozent der allgemeinen Bevölkerung solche außergewöhnlichen Erfahrungen gemacht haben. Dennoch ist bis heute sehr wenig bekannt über ihre Beschaffenheit.

Die neue Studie zeigt: Die Kontakte ereignen sich spontan und direkt – ohne ein Medium (channeling) oder andere vermittelnde Methoden – und werden als vollkommen real erfahren. Es konnte kein typisches Profil von Betroffenen festgestellt werden, denn jede Person kann diese Erfahrungen machen, egal welchen Alters, Geschlechts oder welcher Religion sie angehört.

Rätselhafte Kontakte

Paquita* verlor ihren Sohn, als er gerade 19 Jahre alt war. Er kam von der Party nicht zurück. Er hatte einen Herzstillstand gehabt. Das ist nun schon fast 30 Jahre her. Seitdem fallen an seinem Geburtstag Fotos um oder seine Uhr, die nun der Bruder trägt, bleibt stehen.

Auch in Elsaesser‘s Studie berichten die Betroffenen häufig über solche unerklärlichen physikalischen Phänomene. Die Verstorbenen machen sich, wie aus den Berichten hervorgeht, auf ganz unterschiedliche Weisen bemerkbar. Am häufigsten ereignen sich die Kontakte während des Schlafes (62,2 Prozent der Befragten, aber 51,6 Prozent wurden durch den Kontakt geweckt). Frühere Studien taten das als Träume ab. In der Studie fragten die Wissenschaftler jedoch gezielt nach: Mehr als ein Drittel der Betroffenen waren sich sicher, dass diese Erfahrungen eine „andere Qualität“ als normale Träume von Verstorbenen gehabt hatten. Sie seien viel „wirklicher“ und prägnanter als ein Traum und hätten sich bis ins kleinste Detail und für sehr lange Zeit in ihr Gedächtnis eingeprägt.

In anderen Fällen nahmen die Betroffenen eine äußere Stimme oder einen telepathischen Kontakt (43,3 Prozent) wahr, den sie deutlich von einem Gedanken unterschieden. Andere Kontakte werden taktil spürbar, wie eine zärtliche Berührung (47,7 Prozent). Auch ein Duft oder Gerüche (27,9 Prozent) können mit der Gegenwart eines Verstorbenen in Verbindung gebracht werden und ihn gegenwärtig machen. Sehr beeindruckend seien die visuellen Erscheinungen (46,2 Prozent). Ihre Beschreibungen reichen von der Vision einer nebligen, halbtransparenten Silhouette, die Gegenstände dahinter erblicken lässt, bis zur Wahrnehmung eines vollkommen festen Körpers.

Die Wissenschaft war bisher eher skeptisch

Obwohl diese Phänomene sehr häufig auftreten, war das wissenschaftliche Interesse an der Wahrnehmung von Verstorbenen bisher begrenzt. Bis zum Jahr 2013 gab es nur 36 qualifizierte Studien zum Thema.

Der Grund dafür mag sein, so vermutet das Team von Elsaesser, dass sich diese Art von Erfahrungen kaum mit der gängigen Vorstellung von Realität vereinbaren lassen. Auch die Einordnung des Phänomens durch Sigmund Freud als „halluzinatorische Wunschpsychose“ trägt zur allgemeinen Skepsis bei. Diese erklärt das Phänomen aus der engen Bindung der Trauernden, deren Sehnsucht solche Eindrücke hervorruft.

Elsaesser ist mit dem Forschungsbegriff der Halluzination nicht ganz glücklich, obgleich das Team ihn einmal im Titel einer wissenschaftlichen Veröffentlichung verwendet hat, gewissermaßen als redaktionellen Kompromiss. Nachtod-Kontakte seien nicht angstbesetzt wie eine Halluzination und werden als tröstend empfunden. Sie werden sehr klar wahrgenommen und meist als ein Geschenk empfunden. Den Begriff Halluzination könne man auch auf unterschiedliche Arten definieren, sagt die Forscherin. „In unserer Sicht handelt es sich nur um Wahrnehmungen von nicht-materiellen Objekten, und nicht um «Sinnestäuschungen» im negativen Sinn“, sagt Elsaesser. Die Wirkung der Erfahrung sei so stark, dass die Betroffenen keinen Moment denken, Opfer einer Selbsttäuschung gewesen zu sein.

Trauer kann nicht alle Kontakte erklären

Die Studie zeigt, dass es sich bei den kontaktierten Personen meist, aber nicht immer, um Trauernde handelt, die einen geliebten Menschen verloren haben. 50 Prozent der Nachtod-Kontakte geschehen innerhalb des ersten Jahres nach einem Verlust, besonders während der ersten 24 Stunden. Doch auch Jahrzehnte später kann es zu Kontaktsituationen kommen. Gegen eine reine Halluzination, die sich aus der Trauer der Hinterbliebenen erklären ließe, spricht auch die Tatsache, dass ein Viertel der TeilnehmerInnen angab, sich während des Kontaktes nicht in einem Trauerprozess befunden zu haben und weitere zwölf Prozent hatten Verstorbene wahrgenommen, die sie nicht einmal kannten.

Die Botschaft ist Liebe und Trost

Die wahrgenommenen Botschaften sind relativ einheitlich: Die Verstorbenen berichten, dass es ihnen gut geht und dass sie über ihre Lieben wachen. Es kann vorkommen, dass ein Empfänger, der nicht trauert, eine Nachricht erhält, die er an einen trauernden Angehörigen des Verstorbenen weiterleiten soll. Manchmal sind es auch hilfreiche und praktische Hinweise, wie zum Beispiel, dass eine Lebensversicherung abgeschlossen wurde, oder wo ein verlorener Gegenstand zu finden sei. Auch wird berichtet, dass Hinterbliebene vor Gefahren gewarnt wurden. Es kommt recht häufig vor, dass der bevorstehende Tod eines nahestehenden Menschen bekannt gegeben wird. Bekannt sind auch die Berichte aus dem Zweiten Weltkrieg, in dem Mütter den Zeitpunkt des Todes ihres Sohnes spürten.

In den meisten Fällen ist das Erscheinen der Verstorbenen die Botschaft selbst. „Es geht um Trost und um Liebe“, sagt Evelyn Elsaesser. Der Trost, den die Verstorbenen spenden, indem sie zeigen, dass sie noch nahe sind, dass es ihnen gut geht und dass sie die Hinterbliebenen lieben. Nur zwölf Prozent der Kontaktierten gaben an, während des Kontaktes Angst verspürt zu haben.

Therapeutisch hilfreiche Kontakte im Trauerprozess

In der Regel werden die Kontakte von den Teilnehmern jedoch als zutiefst bedeutungsvoll und tröstlich empfunden. Sie sind hilfreich und therapeutisch, wenn es den Hinterbliebenen gelingt, einen klaren Unterschied zu machen zwischen der definitiven physischen Abwesenheit des Verstorbenen und dieser neuen inneren Beziehung, die es zu erschaffen gilt und in welcher sich auch die Nachtod‐Kontakte gut einfügen, sagt Elsaesser.

Werden solche Erfahrungen tabuisiert und verdrängt so kann das für die Betroffenen schmerzhaft und frustrierend sein. Die Ergebnisse der Studie seien auch für eine professionelle Trauerbegleitung wichtig, die den Trauernden einen sicheren Raum bieten sollte, in dem sie über diese anormalen Erlebnisse sprechen und nachdenken können, sagt Elsaesser.

*Die Namen wurden geändert, aber die Berichte sind real und wurden der Autorin in Spanien erzählt.

Es ist uns wichtig diese Phänomene nicht als „unnormal“ abzutun oder zurückzuweisen, sondern für  Trauernde, die über solche Erlebnisse berichten, Verständnis zu zeigen und deren durchaus positive Wirkung im Trauerprozess hervorzuheben.

 

Evelyn Elsaesser, die Sterbeforscherin steht unseren Leser*innen als Ansprechpartnerin gerne zur Verfügung: evelyn@evelyn-elsaesser.com

Im April 2020 erschien Elsaesser‘s Buch „Nachtod-Kontakte – Spontane Begegnungen mit Verstorbenen“ in deutscher Übersetzung. Die Ergebnisse der Studie wurden in ihrem neuesten Buch veröffentlicht: „Spontane Kontakte mit Verstorbenen: Eine wissenschaftliche Untersuchung bestätigt die Realität von Nachtod-Kontakten“ (September 2021).

Die genannte Umfrage wird bald auf Deutsch durchgeführt und es wird ein Aufruf zur Teilnahme gestartet, siehe die Projektseite: www.adcrp.org

Autorin: Dr. Ulrike Prinz, Ethnologin, Journalistin

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