6 min

Stefanie: Hebamme und Bestatterin

Stefanie Möller ist überzeugt:
Die Trauer braucht, genau wie die Geburt, ihr eigenes Tempo – und dafür Möglichkeiten.


Seit einigen Jahren steht ein Bestattungsfahrzeug in meiner Straße, zufällig geparkt mal vor der einen, mal vor der anderen Haustür. Auf der einen Seite nur schlicht beschriftet, auf der anderen künstlerisch-wild gestaltet. „Anker Lichten – Abschied aller Art“ steht unter anderem darauf. Durch Zufall erfahre ich, dass die freie Bestatterin Stefanie zuvor lange als Hebamme gearbeitet hatte. Was ist die Verbindung, die jemanden den Anfang des Lebens und auch dessen Ende zum Beruf machen lässt? Worin liegt die Berufung? Und wie kommt es zu der im Kontext Bestattung ungewöhnlichen Wendung „… aller Art? Wir sprechen über die Gemeinsamkeiten existenzieller Übergänge.

Stefanie: Hebamme und Bestatterin

© Trauer Now / Blaurock

Zum Gespräch am Mittag kommt Stefanie von einer Beerdigung. „Im Auto danach war ich todmüde – schon um halb elf. Denn das Unwiederbringliche an der Situation ist mir sehr bewusst. Alles soll ja perfekt und stimmig sein. Und ich muss die Spannung halten. Das kostet viel Kraft.“ Manches im Leben könne man wieder korrigieren. „Bei einer Beerdigung geht das nicht.“

Norwegen: Berufswunsch Hebamme

Ein sprachliches Studium in den neunziger Jahren brach sie ab, ihr fehlte der Sinn darin. In Trondheim las sie das norwegische Wort für Hebamme „Jordmor“, wörtlich übersetzt: Erdmutter. „Das Wort ‚Hebamme‘ hatte in mir nie etwas ausgelöst. Aber in diesem Moment hat es geklickt und ich wusste: Das ist es, was ich machen will.“

Nach der Ausbildung und einem Externat trat die Hebamme Steffi Möller 1999 ihre erste Stelle an. Berliner Klinikalltag, eine große hierarchische Institution mit 2.000 Geburten im Jahr. „Ein Rädchen im Uhrwerk sollte ich dort sein. Aber die müssen rund sein und dafür war ich zu eckig.“ Aus Respekt vor dem natürlichen Vorgang der Geburt wollte sie Zeit und Freiheiten geben – mehr, als der Klinikalltag erlaubte. „Dass man meinen Vertrag dort nicht verlängert hat, empfinde ich heute als Segen.“ In den Niederlanden fand sie ein Verständnis der Geburtsbegleitung, das ganz anders als der kontrollierende und reglementierende Großklinikalltag war. Weil Hausgeburten und Hebammenfürsorge dort selbstverständlich waren, machte sie ihre Ausbildung dort nochmal.

„Und das war genau mein Ding: Die Geburt zu verstehen, das Menschliche, die Physiologie verteidigen zu dürfen anstatt die Pathologie bewachen zu müssen. Im Klinikalltag erstickt die Natur in Parametern und Reglementierung. Das gibt vielen zwar Sicherheit, aber wenn man sie lässt, kann das auch die Natur. Und ich bin nur als Begleiterin gefragt, die Möglichkeiten gibt und im Notfall eingreifen kann. Die Frauen können das selbst, und wollen nur dass jemand dabei ist.“

Auch die Geburt ihres ersten eigenen Kindes in Dresden gestaltete sie so. „Ich wollte einfach nur in Ruhe mein Kind kriegen und so konnte ich das auch.“ Stefanie Möller gründete mit anderen zusammen ein Geburtshaus. In der Kindheit ihres zweiten eigenen Kindes gab es medizinische Notfälle. Eine Tätigkeit in der Geburtshilfe war unter diesen Umständen nicht mehr machbar. „Ich habe heute kein Sternenkind, aber das hätte passieren können.“ Dann starb ihr Schwager im Jahr 2008 im Ausland. „Plötzlich war der Tod doch da. Und spätestens damit fing mein neuer Weg an.“

Keine Berührungsängste mit dem Tod

„Durch den Hebammenberuf hatte ich keine Berührungsängste. Existenzielle Übergänge kennst Du durch die Geburt.“ Intuitiv übernahm sie direkt nach dem Tod ihres Schwagers das Handeln. In derselben Woche kam ihre Nichte auf dramatische Weise mit einem Notkaiserschnitt zu Welt. „In dieser Woche bin ich zwischen den Extremen gependelt, musste direkt von der Entbindungsstation zur Bestatterin meines Schwagers fahren. Die hat uns Möglichkeiten aufgezeigt und ermutigt. Zum Beispiel, dass wir ihn zuhause aufbahren und so anderen und auch den Kindern ermöglichen, ihn zu verabschieden. Ich habe verstanden: Die Bestatterin macht das, was ich am Anfang des Lebens mache, am Ende. Und deshalb wird das später auch mal was für mich sein.

Die Idee blieb, bis sie nach ihrem dritten Kind und erneuter Tätigkeit im Hebammenhaus mit fast 50 Jahren spontan aus der Geburtshilfe ausstieg. „Ich bin eines Tages nach der Arbeit nach Hause gegangen und wusste: Jetzt werde ich Bestatterin. Schlagartig hatte ich gute Laune. Sie suchte sich Unterstützung, machte Weiterbildungen, lernte, Verstorbene zu versorgen. In Praktika bei Bestattern lernte sie auch, was sie nicht möchte – Hierarchien, Angestellte, Vorauskasse und Abhängigkeiten.

Neustart – Die zwei ersten Bestattungen

Anfang des Jahres 2023 kaufte sie den Wagen, eine Trage, einen Sargroller, zwei Särge und auch einige Babysärge. „Mir war klar, dass ich als ehemalige Hebamme viel mit Kindstoden zu tun haben würde.“ Die ersten beiden Bestattungen waren dann auch ein im Mutterleib verstorbener Fötus und ein Kind, das nur wenige Tage hatte leben können. Kurz aufeinander fanden die beiden Bestattungen statt – und waren sehr unterschiedlich. Der eine Babysarg weiß lackiert, der andere ein kleines Wikingerschiff. „Und genau das meine ich. Deshalb hat ja auch mein Fahrzeug zwei verschiedene Seiten. Denn Bestattungen sollen ja die Prozesse der unterschiedlichen Menschen sein, für die ich sie mache, und nicht meine. Wir Bestatter sollten nur Ermöglicher sein – den Raum und die Möglichkeiten anbieten und schaffen. Genau so hatte ich auch als Hebamme meine Aufgabe immer verstanden.

Zweieinhalb Jahre nach ihrem Neustart freut sich Stefanie, dass auch ihr Sohn längst zu ihrem Helferteam gehört, seit ein paar Tagen erst auch ihre Tochter. „Beide zeigen großes Gespür gegenüber den Toten und den Bedürfnissen der Angehörigen. Auch diese Dinge, die eben jemand machen muss, bekommen dann eine Schönheit.

Erlaubnis geben im „Hafengespräch“

Wo möglich, führt Stefanie vor dem Tod gemeinsame Vorgespräche mit Angehörigen und Sterbenden. „Ich erlebe das sehr dankbar, wenn wir wichtige Fragen vorher gemeinsam klären können. Es ist wertvoll, dort schon klarmachen zu können: Wenn der Tod eingetreten ist, müsst Ihr nichts tun! Das nimmt die Aufregung raus – und es eröffnet uns den Zugang zu unseren natürlichen Impulsen. Es gibt uns Erlaubnis: Ihr könnt Euch danebenlegen, einen Tee machen, telefonieren, eine Kerze anzünden, ein Fenster aufmachen – oder auch nicht.“

Und genau das, so Stefanie Möller, sei genau wie in der Geburt: „Wir geben den Rahmen, damit die Menschen auf ihre Instinkte warten, sie spüren und ihnen nachgehen können.“ Sie appelliert: „Ihr braucht Euch nicht nach dem Außen zu richten!“

Viel wissen, um wenig zu tun

Wo sie den Menschen diese Gelassenheit geben könne, weiß Stefanie, da sei sie nicht zu „eckig“, sondern am richtigen Platz. Die Anwesenheit von einer Person, die nicht im Schock ist, sagt sie, reguliert unser Nervensystem. „Das Nichts Machen aushalten zu können, ist große Kunstfertigkeit. Vor einem Jahr ist ein Mann im Hospiz gestorben. Ich habe mich mit seiner Frau an sein Bett gesetzt und erstmal eine ganze Weile nichts gemacht. Damit habe ich ihr die Gelegenheit gegeben, nach und nach zu begreifen.“

Sie ist überzeugt: Die Impulse kommen, wenn man sie zulässt: Der Gedanke, dass der Verstorbene jetzt abgeholt werden kann und soll. Dass man irgendwann auch zurück möchte ins Leben, dafür den Weg frei machen will. „Man muss sich fertig ärgern dürfen. Dann kommt man ins Gleichgewicht“, zitiert sie den dänischen Familientherapeuten und Autoren Jesper Juul. 

Trauer, sagt sie, ist Liebe in ihrer wildesten Form. „Nichts hilft dann. Aber es gibt vieles, das stören kann. Wie bei der Geburt, ein Höllenritt. Jeder braucht sein Tempo. Wenn man das dann stört, wird es nur noch schlimmer. Wir können an der Trauer nicht einfach herumregulieren. Wir können und sollten nur begleiten. Die Trauer ist – wie die Geburt auch – ein auf Erfolg angelegter Vorgang. Der Schlüssel bei beidem ist die Selbstbestimmung.“

Deshalb ermutigt sie Hinterbliebene meist zu einem Grab auf einem nahe gelegenen Friedhof, auch wenn sie selbst in manchen Fällen anderen Ideen gegenüber aufgeschlossen ist. „Ich schlage das vor, damit man dahin spazieren gehen kann, wenn einem danach ist. Wir wissen vorher nicht, wie oft wir das brauchen werden.

© Trauer Now / Blaurock

Foto: Enrico Müller

Zum Autor: Tobias Blaurock (54) ist Vater zweier Töchter, Gesellschafter-Geschäftsführer einer Werbeagentur und Mitglied der Initiative Raum für Trauer. Für die Initiative schrieb er unter anderen auch das Büchlein „Weiterreden, weiterleben“ (Vorwort: Zukunftsforscher Matthias Horx). Tobias Blaurock leitet seit November 2025 das Redaktionsteam von trauer/now, wo er auch eigene Artikel veröffentlicht.

Bei Interesse an einer Zweitveröffentlichung wenden Sie sich bitte an den Autor.

6 min

Stefanie: Hebamme und Bestatterin

Stefanie Möller ist überzeugt:Die Trauer braucht, genau wie die Geburt, ihr eigenes Tempo – und dafür Möglichkeiten. Seit einigen Jahren steht ein Bestattungsfahrzeug in meiner Straße, zufällig geparkt mal vor der einen, mal vor der anderen ...

Weiterlesen
4 min

Raum spüren

Drei Installationen – die Eingangssituation, ein Raum, der Sehnsucht spürbar und ein Raum, der Zuversicht erfahrbar macht – zeigen im „Campus Vivorum“ in Süßen den Spannungsbogen, den ein Friedhof heute bieten kann....

Weiterlesen
3 min

Wider die Tristesse von Tod, Trauer und dem Üblichen

Über den Film „Sterben für Beginner“ von Christian Klandt (Buch: Eric Wrede) Edin ist Eric. Edin Hasanović, demnächst Tatortkommissar in Frankfurt, spielt Eric. Eric lebt das Berlin der 1990er Jahre. Laut, schrill, schnell und immer auf ...

Weiterlesen