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„Ich studiere den Tod“ ⑦

„Perimortale Wissenschaften“ ist der neue Master-Studiengang an der Universität Regensburg: Sterben, Tod und Trauer interdisziplinär. Die Autorin Sarah Zinn ist seit Oktober 2020 immatrikulierte Studierende und berichtet in unserer Serie von ihren Erfahrungen mit diesen großen Lebensthemen.

„Ich studiere den Tod“ ⑦

Logogestaltung: Sophie Wetterich

Wir alle trauern – früher oder später

Trauer zeigt sich in den verschiedensten Formen und nicht immer nur zu den Zeiten, in denen wir es erwarten würden. Daher sollten auch die Möglichkeiten des Umgangs mit ihr vielfältig und individuell gestaltbar sein. Durch Exkursionen, Seminare und Impulse von Menschen, die aktiv mit der Trauer arbeiten, konnten wir Studierende in diesem Monat erfahren, wie facettenreich und persönlich Abschied und Trauer er- und gelebt werden können.

Wir alle trauern – früher oder später. Hat sich jemand den Arm gebrochen oder leidet an einer schweren Erkältung, zeigen wir uns meist solidarisch. Wir bieten Hilfe an, fühlen uns in die Situation unseres Gegenübers ein und teilen vielleicht sogar unsere eigenen Erfahrungen mit einer vorangegangenen ähnlichen Herausforderung. Oft reagieren Menschen dabei auf sichtbare Symptome – den Gips, die rote Nase oder Husten. Aber Trauer kommt selten mit so eindeutigen Erkennungsmerkmale daher. Schnell wird sie deshalb übersehen, nicht ernst genommen oder als Privatangelegenheit abgetan. So kann es passieren, dass sich Menschen in ihren Verlusterfahrungen allein gelassen fühlen und nicht wissen, an wen sie sich in ihrem Umfeld wenden können. Seltsam – ist doch Trauer etwas, was uns ausnahmslos alle verbindet! Jede:r von uns trauert irgendwann. Gründe dafür gibt es viele: Den Tod eines lieben Menschen, das Ende einer besonderen Beziehung oder den Wegzug aus der Heimat. All das darf und soll betrauert werden. Üben wir uns darin, solidarisch zu sein mit der Trauer der Menschen um uns herum. Denn auch wir wünschen uns Halt und Unterstützung, wenn – nicht „falls“ – wir selbst Verluste zu beklagen haben.

Feuerbestattung hautnah

Das Gefühl der Trauer und die Realität des Todes sind für mich an wenigen Orten zeitgleich so präsent, wie in einem Krematorium. Neben den verschiedenen Möglichkeiten der Abschiednahme von der verstorbenen Person steht das hochtechnologisierte und äußerst eindrucksvolle Verfahren der Einäscherung. Bei einem Blick hinter die Kulissen eines Krematoriums durften wir Studierende mehr über die Abläufe, Herausforderungen und besonderen Momente bei dieser Arbeit erfahren.

Mehr als 70% aller Bestattungen in Deutschland sind mittlerweile Feuerbestattungen. Gleichzeitig fehlt es vielen Menschen oft an einem konkreten Verständnis dafür, wie das Verfahren tatsächlich abläuft – und was es für die Trauer bei Hinterbliebenen bedeuten kann, den Körper der verstorbenen Person kremieren zu lassen. In den meisten Fällen wird die Feuerbestattung gewählt, da sie im Vergleich zur Erdbestattung günstiger und auch die Grabpflege (denn auch Urnen unterliegen in Deutschland der Beisetzungspflicht) zumeist weniger aufwändig ist. Gleichzeitig kann die gefüllte Urne aber zu abstrakt sein, um gut von der verstorbenen Person Abschied nehmen zu können. Besonders dann, wenn vor der Kremierung keine letzte Begegnung mit dem Körper möglich gewesen ist, kann es schwerer sein, den Tod der Person in seiner Endgültigkeit zu erfassen. Daher bieten viele Krematorien an, dass ein Abschied am Sarg in separaten Räumen möglich ist oder sogar der Einfahrt in den Kremierungsofen aus sicherer Entfernung beigewohnt werden kann. So drastisch das hier klingen mag – ich begrüße die Vielfalt der Optionen für Hinterbliebene. Je mehr wir über den Ablauf einzelner Bestattungsarten wissen, umso besser können wir entscheiden, was uns in der Trauer dient. Ich selbst war lange sicher, dass ich kremiert werden möchte. Der Besuch im Krematorium hat mir aber nochmal einige Denkanstöße mitgegeben, die ich nun in meine Überlegungen einfließen lassen werde.

Und sie lebten glücklich, bis an ihr Lebensende…

Trauer ist sehr individuell. Manche Menschen gehen offen mit ihr um, können konkrete Verluste gut benennen und finden Wege für sich, die Erinnerung an die verstorbene Person auch im Alltag aktiv lebendig zu halten. Andere sind hier zaghafter, vielleicht überfordert mit der Schwere der Trauer oder unsicher, wie es weitergehen kann. Ganz egal, wie wir Verlusterfahrungen erleben: es hilft, die eigenen Gefühle und Reaktionsmuster zu reflektieren und Handlungsoptionen zu erkennen. In der Begleitung trauernder Menschen kann hierzu die Märchenpädagogik zum Einsatz kommen – nicht nur bei Kindern, wohlgemerkt. In einem Gastvortrag von Alexandra Eyrich wurde dies sehr anschaulich verdeutlicht. Märchen beschäftigen sich mit den großen Fragen des Lebens und können Wegweiser sein, welche die eigenen Wahrnehmungen, Perspektiven und Sichtweisen erweitern. Sie laden dazu ein, sich der eigenen Muster bei Verlusterfahrungen bewusst zu werden. Der Tod wird in den Geschichten mal mehr, mal weniger subtil benannt. So fällt Dornröschen „in einen tiefen Schlaf“ und das Sterntaler erhält, nachdem es alle seine Habseligkeiten weggegeben hat, „ein Hemdchen aus allerfeinstem Linnen“. Und auch die Trauer findet seinen Platz in den Märchen. In „Das Totenhemdchen“ bittet das verstorbene Kind die Mutter: „höre doch auf zu weinen, sonst kann ich in meinem Sarge nicht einschlafen“. Der kleine Junge erinnert daran, dass wir den Toten einen neuen Platz im Leben geben und mit der Erinnerung an sie unseren Frieden machen sollen.

Märchen arbeiten mit sehr klaren Charakteren und Situationen, die schnell erfasst werden können. In der Trauerarbeit bieten sich dadurch vielfältige Möglichkeiten der Reflexion und Wahrnehmung der Dinge, wie sie aktuell sind. Versuchen Sie es einmal selbst – der innere Dialog mit vielen Klassikern belebt unsere (Trauer-)Sinne.

Erinnerungsarbeit in allen Facetten

An manche Eigenheiten und Charakterzüge von Verstorbenen erinnern wir uns noch sehr lange. Einiges geht allerdings sehr schnell verloren. Wie klang nochmal das herzliche Lachen des besten Freundes? Und die akkurate Bewegung der Großmutter, wenn sie die Blumen im Garten beschnitten hat – so ganz genau sehen wir sie auch nicht mehr vor dem geistigen Auge. Meist sind es aber genau diese kleinen Dinge, die wir so liebgewonnen haben und nicht vergessen wollen.

Fotos sind oft wichtige Erinnerungsstücke für Menschen, die jemanden verloren haben. Sie halten nicht nur fest, wie die verstorbene Person ausgesehen hat, sondern erinnern auch an besondere Momente, die gemeinsam erlebt wurden. Trauernde sprechen dann nicht nur von der Person auf dem Foto, sondern auch von dem rauschenden Fest zur Goldenen Hochzeit, der Einschulung des Kindes oder dem gemeinsamen Urlaub, bei dem das Bild entstanden ist. Ton- und Videoaufnahmen können hier wunderbare Ergänzungen in der Trauerarbeit sein. Schon jetzt erleben wir, wie trostspendend zum Beispiel Sprachnachrichten für Hinterbliebene sein können. Noch einmal die Stimme einer geliebten Person hören, das wünschen sich viele Menschen, die einen Verlust betrauern. Heutzutage ist das möglich. Und auch kleine Videos aus dem Alltag helfen, sich der verstorbenen Person noch einmal nahe zu fühlen und sich an ihre Eigenheiten zu erinnern.

Wir leben in einer multimedialen Zeit. Ich freue mich, dass auch unsere ganz individuelle Trauerarbeit davon profitieren kann und wünsche mir, dass Videos und Tonaufnahmen für die Erinnerungsarbeit bald ein genauso wichtiger Baustein sind, wie Fotos.

 

Sarah Zinn / Autorin, Medienschaffende und Studentin der PERIMORTALEN WISSENSCHAFTEN/Universität Regensburg
https://www.uni-regensburg.de/theologie/moraltheologie/perimortale-wissenschaften-ma/index.html

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