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Raum spüren

Drei Installationen – die Eingangssituation, ein Raum, der Sehnsucht spürbar und ein Raum, der Zuversicht erfahrbar macht – zeigen im „Campus Vivorum“ in Süßen den Spannungsbogen, den ein Friedhof heute bieten kann.

Raum spüren

© Studio Kamenar

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Der Artikel ist zuerst im Magazin Friedhofskultur – Ausgabe 10/2024 erschienen

Dieser Spannungsbogen rückt das Gefühl der Sehnsucht trauernder Menschen nach Nähe einerseits und der Zuversicht, die andererseits ein den Bedürfnissen der Menschen entsprechend gestalteter Friedhof vermitteln kann, in den Mittelpunkt. Die Konzeption dieser begehbaren Räume stammt von dem Architekturbüro „Manthey Kula“ aus Oslo.

Ein Eingang trennt und verbindet. Er markiert drinnen und draußen, definiert davor und dahinter. Das Portal zu einem Friedhof ist eine besondere Tür. Sie trennt die Welt der Lebenden von der Welt der Toten und verbindet beide. Menschen verlangsamen hier ihre Schritte. Sie halten inne und überschreiten eine Schwelle. Der Eingang zum „Campus Vivorum“ markiert diesen Übergang auf eigene Weise.

© Tobias Blaurock

Ein quergestelltes Tor verbindet drinnen und draußen, bietet Schutz, lädt zum Miteinander ein und weist den Weg. Zwei hintereinanderstehende, monolithische Säulen aus fast weißem, kaum strukturierten, an seiner Oberfläche fein geschliffenen, fränkischem Sandstein tragen das gläserne Dach einer ausladenden, Schutz bietenden Holzkonstruktion. Versperrt wird hier nichts.

Die Architekten Beate Hølmebakk, Professorin am „Institut für Architektur“ in Oslo und Per Tamsen haben eine verbindende Trennlinie geschaffen, an der sich Menschen treffen und versammeln, bevor sie diesen Ort betreten. Dieses Tor trennt nicht. Es öffnet einen gemeinschaftlichen Raum für einen sehr persönlichen Besuch. Dieses Tor lädt ein in einen besonderen Ort und signalisiert: Hier lohnt es sich hineinzugehen.

Sehnsucht erfahren

Das Gefühl der Sehnsucht trauernder Menschen steht auf einem Friedhof im Mittelpunkt. Die Installation „Sehnsucht erfahren“ macht dies spür- und erlebbar. Direkt am Eingang definieren im Winkel von etwa 45 Grad schräg gesellte, über zwei Meter hohe schlichte Stelen aus Holz einen sich nach einer Seite stark verjüngenden Raum. Diesen Raum können Menschen nur bis zu einer bestimmten Stelle betreten. Durchschreiten können sie ihn nicht. Er endet in einer immer schmaler werdenden Sackgasse.

An deren Ende trennt eine mattierte Glasscheibe die Besucher von der dahinter liegenden Welt. Ein diffuser Ausblick weckt die Sehnsucht nach einem Ort, den sie nicht erreichen können. Der Weg scheint zu Ende. Was einmal war, ist nicht mehr da. Was kommt, ist nicht zu sehen. Es bleibt die Sehnsucht nach Unerreichbarem. Die Zukunft rückt in weite Ferne.

© Achim Eckhardt

Zuversicht spüren

Ganz anders der Raum „Zuversicht spüren“: Ein ebenfalls mit hohen Holzstelen definierter Raum öffnet sich nach einer kurzen engen Stelle mit einer weiten Öffnung. Dieser Raum lädt zum Durchschreiten ein, bietet an seiner offenen Seite einen unverstellten (Aus-) Blick zurück auf die verschiedenen Bereiche des „Campus Vivorum“ und die Hügel der dahinter liegenden Landschaft. Neues wird sichtbar. Kraft und Zuversicht entsteht.

Der Friedhof als Erfahrungsraum

Die drei (Raum-)Installationen spannen einen Erfahrungs- und Spannungsbogen von einer persönlichen Verlust- und Sehnsuchtserfahrung hin zu dem Augenblick, in dem Menschen wieder Zuversicht und Hoffnung erleben können. Die Installationen machen spürbar, dass Friedhöfe konkret erlebbare soziale Orte sind, die für Menschen eine besondere Bedeutung haben. Sie sind wertvoll für das leibliche und seelische Befinden. Sie zeigen, wie an den Bedürfnissen der Menschen orientierte Räume beruhigen, Angst nehmen und wieder Hoffnung, Vertrauen und Zuversicht vermitteln können. Sie machen deutlich, dass trauernde Menschen ein Teil einer Gemeinschaft sind.

Für viele Verantwortliche in kommunalen oder kirchlichen Friedhofsverwaltungen und politische Entscheidungsträger zeigen die im „Campus Vivorum“ in Süßen vorgestellten Abschieds-, Erinnerungs- und Begegnungsräume eine Möglichkeit, menschenzugewandt Friedhöfe zu gestalten, die helfen, persönliche Lebenskrisen zu überwinden und wieder Freude am (gemeinsamen) Leben mit anderen zu finden.

© Tobias Blaurock

Friedhöfe geben, wenn sie entsprechend gestaltet sind, Menschen in Lebenskrisen Halt. Mit ihren an den Bedürfnissen der Menschen orientierten Beisetzungsorte, helfen sie Trauernden, spenden Trost und sind mit einer zur Begegnung und Interaktion ausgerichteten Infrastruktur für alle Menschen einer Gemeinde nützlich. Sie sind Treffpunkte für alle, in denen sich individuelle Lebensgeschichten mit denen anderer Menschen über lange Zeit hinweg verflechten. Sie verbinden Menschen und zeigen als soziale Orte Möglichkeiten auf, wie ein Leben in Gemeinschaft funktionieren kann. Sie bilden Knotenpunkte in einem Netzwerk der Beziehungen. Indem sie die Befindlichkeiten der Menschen in verschiedenen Lebenssituation, unterschiedlichen emotionalen Zuständen und sozialen Bedingungen spiegeln, helfen sie Menschen sich gegenseitig zu verstehen, zu akzeptieren und auszuhalten. Indem sie das Miteinander und das Zusammenleben in den Mittelpunkt rücken, sind sie für alle Menschen nützliche öffentliche Räume.

Autoren: Sarah Czasny und Willy Hafner, Initiative Raum für Trauer
Informationen unter www.raum-fuer-trauer.de, Besichtigungen auf Anfrage: info@raum-fuer-trauer.de

 

Hier finden Sie den Originalartikel zum Download:
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