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Ich habe Angst, dass ich Opa vergesse.

Rein in die Pfütze, raus aus der Pfütze: Kinder und Jugendliche trauern anders als Erwachsene. Natürlicher, gesünder, ohne sich um gesellschaftliche Konventionen zu kümmern. Als Trauerbegleiterin und Autorin zweier Bücher zu dem Thema macht Ayşe Bosse Mädchen und Jungen Mut, keine Angst zu haben vor Verlusten.

Ich habe Angst, dass ich Opa vergesse.

Kinder und Jugendliche trauern anders als Erwachsene

Es hätte ein schöner Tag sein können.

Ging aber nicht.

Der Bär liegt auf seinem Lieblingsplatz.

Er ist traurig, denn er vermisst jemanden.

Jemanden, der weg ist. Für immer.

Jemanden, der gestorben ist.

// aus dem Kinderbuch „Weil du mir so fehlst“, von Ayşe Bosse

Wie dem knuffigen Bären mit seinem roten Pulli in Ayşe Bosses Kindertrauerbuch „Weil du mir so fehlst“ kann es urplötzlich jedem von uns gehen, Erwachsenen und Kindern gleichermaßen. Jemand, den wir liebten, ist nicht mehr da. Wohin dann mit all der Trauer? Die Trauerbegleiterin Ayşe Bosse hat ganz verschiedene Ideen zusammengetragen, für Kinder und ihre Eltern: Fragen formulieren, Erinnerungen aufschreiben, Fotos aufkleben, Tränen zeichnen, Trauerklöße kochen, sich verkriechen, seine Wut in einen Brülleimer schreien, Witze erzählen und lachen… Alles darf sein, Tabus sind tabu. Trauer darf außerdem ganz lange dauern oder ganz kurz sein – ganz so wie es der Trauernde braucht.

Damit möglichst viele Kinder und Jugendliche gut und ohne Angst mit Verlusten umgehen können, hat Bosse gleich zwei wunderschön illustrierte Mitmach-Bücher geschrieben. Im erwähnten „Weil du mir so fehlst“ nimmt ein Bär die Kinder mit auf seine Trauerreise. Das jugendliche Pendant im Comicstil heißt „Einfach so weg“ und ist musikfokussiert. Entstanden sind die Bücher nachdem der Vater der Autorin gestorben war und ihre Tochter ihr offenbarte: „Mama, ich habe Angst, dass ich Opa vergesse.“ Der Tod des eigenen Vaters veränderte das Leben von Ayşe Bosse. Sie beendete ihre Modelkarriere und schauspielerte nur noch selten. Gleichzeitig ließ sie sich zur Trauerbegleiterin ausbilden und brachte Kindern in Workshops behutsam die Themen Tod und Trauer nahe. Im Interview erzählt die Hamburgerin, wie es dazu kam, dass sie ihr vermeintlich glamouröseres Leben aufgegeben hat, wie wir Kinder auf Trauererlebnisse vorbereiten können, ob es einen festen Ort für Trauer braucht und warum sie den eigenen Tod nicht fürchtet.

Die Trauerbegleiterin Ayşe Bosse hat ganz verschiedene Ideen zusammengetragen – für Kinder und ihre Eltern (Foto @Annegret Hultsch Fotografie)

Rückblickend auf Ihr bisheriges Leben: An welche persönlichen Trauererfahrungen erinnern Sie sich?

Eigentlich an alle… Das erste wichtige Trauererlebnis für mich waren meine Goldhamster. Sie sind an Altersschwäche gestorben. Da war ich zehn oder elf Jahre alt. Das hat mich sehr mitgenommen. Ich habe sie in der Nähe unseres Hauses im Wald vergraben und bin dann wirklich jeden Tag nach der Schule hin und habe Blümchen abgelegt. Heute als Trauerbegleiterin weiß ich, dass solche Erfahrungen für Kinder unbezahlbar sind. Deshalb bin ich absolut pro Haustier. Das einschneidendste Erlebnis, auch für meinen beruflichen Werdegang, war der Tod meines Vaters 2013. Obwohl es absehbar war und nicht plötzlich passierte und wir uns auch vorher noch alles sagen konnten, war der Verlust groß.

Hat sich über die Jahre etwas in Ihrem Umgang mit der Trauer geändert?

Je mehr Erfahrung und Berührung ich damit hatte, desto mehr habe ich gelernt, dass der Tod etwas ganz Natürliches ist, das zum Leben dazugehört. Ich war noch nie panisch bei dem Thema.

Mama, ich habe Angst, dass ich Opa vergesse.

 

Der Tod Ihres Vaters war für Sie der Auslöser, sich beruflich mit Trauer und Tod zu beschäftigen. Welche Rolle spielte es, ein eigenes Kind zu haben?

Eine maßgebliche. Meine siebenjährige Tochter hat damals zu mir gesagt. „Mama, ich habe Angst, dass ich Opa vergesse.“ Der Satz hat sich bei mir ganz tief eingebrannt. Ich dachte, es muss etwas getan werden, damit mein Kind und im besten Fall viele andere Kinder keine oder zumindest weniger Angst haben müssen vor dem Vergessen, dem Tod und der Trauer.

Kinder trauern gesünder und natürlicher als Erwachsene, weil sie noch keinen gesellschaftlichen Ansprüchen genügen müssen

Als Model und Schauspielerin haben Sie sich vermutlich in ganz anderen Welten bewegt als Sie es heute tun. Warum haben Sie das glamourösere Leben aufgegeben?

So glamourös, wie man immer denkt, ist es gar nicht. Am Ende ist es eine Arbeit wie jede andere auch, mit positiven und negativen Seiten. Ich komme aus einer Familie, die sehr am Menschen interessiert war. Mein Vater war Unfallchirurg, meine Mutter Kindergärtnerin. Ich habe schon immer gespürt, dass das, was ich da gerade tue, mich auf Dauer nicht glücklich machen kann. Schon bevor mein Vater krank wurde, habe ich nach etwas gesucht, das menschlich ist und mehr Sinn macht. Ich fand ein Hamburger Kinderhospiz, in dem ich zwei Jahre lang ehrenamtlich tätig war.

Mit welchen Gefühlen sind Sie in das Kinderhospiz gegangen? Gab es da auch Angst oder Unsicherheit?

Vor meinem ersten Einsatz war ich sehr aufgeregt, weil ich Angst hatte, etwas falsch zu machen. Die Angst vor der Konfrontation mit dem Sterben und dem Tod war bei mir gar nicht so groß, weil ich mich darauf vorbereitet hatte. Es waren eher Leute in meinem Umfeld, die nicht so gut mit dem umgehen konnten, was ich tue. Ich bin auch angeeckt, weil ich ab und zu meine Tochter mitgenommen habe. Ich denke, das hat mit dazu geführt, dass sie heute keine Berührungsängste hat mit Menschen, die anders oder schwächer sind.

Inwiefern trauern Kinder und Jugendliche anders als Erwachsene?

Grundsätzlich trauert jeder anders und individuell, auch Erwachsene. Bei Kindern fällt auf, dass sie gesünder und natürlicher trauern als Erwachsene, weil sie noch keinen gesellschaftlichen Ansprüchen genügen müssen. Bei Kindern redet man von Pfützentrauer: Todtraurig rein in die Pfütze mit Weinen und allem, was dazu gehört. Und dann, wenn die Schmerzgrenze erreicht ist, innerhalb von Minuten raus aus der Pfütze und fröhlich sein. Kinder sind außerdem ganz unbeirrbar, in dem was sie glauben, z. B. wo derjenige ist, der gestorben ist, und dass es ihm gut geht. Man hört da unglaublich weise Sätze. Auf der anderen Seite haben Kinder auch schnell Schuldgefühle: Oma hat etwas gekocht, das ich nicht gegessen habe. Vielleicht ist sie deshalb krank geworden und gestorben.

Wann und wie sollten wir unsere Kinder darauf vorbereiten, dass ihre Großeltern, Eltern, aber auch alle anderen Menschen irgendwann sterben werden?

Man sollte das vorsichtig tun, ohne den Kindern Angst zu machen. Bei ganz kleinen Kindern würde ich nicht sagen, dass die Oma oder der Opa schon ganz alt ist und vielleicht bald sterben wird. Man kann darüber reden, wenn ein toter Vogel oder eine tote Hummel im Garten liegen. Man könnte auch zusammen ein Kinderbuch zu dem Thema lesen. Ich kann „Die besten Beerdigungen der Welt“ oder „Gehört das so?“ empfehlen.

Sie selbst haben auch zwei Trauerbücher geschrieben, „Weil du mir so fehlst“ für Kinder und „Einfach so weg“ für Jugendliche. Worin liegt das Besondere Ihrer Bücher?

Sie sind besonders, weil sie von Herzen kommen. Außerdem hat die Konstellation aus Verleger, Illustrator und mir menschlich einfach unglaublich gut gepasst. Und dann können die Kinder und Jugendliche mit den Büchern selbst aktiv sein und Erinnerungen, Gefühle, Fotos, Zeichnungen eintragen. Übers Tun kommt man immer besser ins Gespräch. Es geht übrigens nicht darum, das ganze Buch am Stück durchzuarbeiten. Trauer braucht Zeit.

Welche Unterschiede gibt es hinsichtlich Trauer bei Kindern und Jugendlichen? Sind Sie an die Bücher jeweils anders herangegangen?

Ähnlich, was die Grundgefühle beim Trauern wie Angst und Wut betrifft. Beim Buch für die Jugendlichen ging es darum, eine Nähe zu schaffen, die nicht zu nah ist. Außerdem steht dort die Musik im Mittelpunkt, weil ich in Workshops und Interviews gemerkt habe, wie wichtig Musik in dem Alter ist. Mit Musik kann man super gut Trauer verarbeiten.

Beobachten Sie Veränderungen im Umgang mit Trauer und Tod in unserer Gesellschaft?

Absolut. Ich finde, dass in der breiten Gesellschaft etwas passiert. Ich erinnere mich an öffentliche ARD-Plakate, auf denen stand „Sie werden sterben.“. Auch im Bestattungswesen tut sich etwas, weil sich die Nachfrage ändert. Die Generation unserer Eltern war und ist sehr verschlossen. Sie spricht nicht gern über das Thema. Dabei gibt es eigentlich nichts Schlimmeres, als Dinge nicht zu besprechen. Ein Kind hat mir einmal diesen Satz geschenkt: Wenn man darüber redet, wird die Angst kleiner.

Brauchen wir für unsere Trauer einen festen Ort wie den Friedhof?

Ich finde es gut, wenn es den festen Ort gibt, aber man kann ihn sich auch schaffen. Mein Vater ist auf einem Berg in der Türkei begraben. Da kommt man nicht so oft hin, aber es war nun mal sein Wunsch. Wir haben uns im Bücherregal einen kleinen Schrein eingerichtet. Dort stehen Fotos, Blümchen und eine Kerze. Für mich ist das gut so. Ich weiß aber auch, dass es viele Leute brauchen, zum Friedhof zu gehen und das Grab schön zu machen. So sind sie in der Trauer aktiv.

Wie gehen Sie mit Gedanken an das eigene Sterben um?

Meine Angst vor dem Sterben ist nicht so groß. Die wird immer kleiner, je mehr schon mal vorgehen. Das kriegen Milliarden von Menschen hin, dann schaff‘ ich das auch. Ich mache mir vor allem Gedanken darüber, wie es für diejenigen ist, die bleiben. Was wird mit meinem Kind? Wie geht es denen, die mir lieb sind? Ich kann niemanden davor schützen, dass das total traurig und ätzend wird. Aber ich habe immerhin das Organisatorische schon mal weggearbeitet: wo und wie ich bestattet werden möchte und welche Songs laufen sollen. Man kann das alles ja immer wieder updaten. Wenn ich in fünf Jahren denke, Mallorca wäre auch nicht schlecht, kann ich das noch ändern. Vor allem geht es um solche Sachen wie Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Testament. Ich fand das so super, dass mein Vater das alles geregelt hatte und wir nur seine Liste abarbeiten mussten.

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