Anna Staudt schiebt die breite Glastür zu ihrem Atelier auf. Das Licht fällt durch die verglaste Decke auf den großen Holztisch, auf dem Skizzen und ein paar Werkzeuge liegen. Durch die großen Fensterfronten schweift der Blick hinaus auf den Hof, auf dem sich schlanke, verschiedenfarbige Steine aneinanderreihen. Die meisten werden demnächst das Grab eines Verstorbenen schmücken. In ihnen steckt dann oft eine ganz persönliche Geschichte, die Anna Staudt für die Verstorbenen und die Trauernden in Stein gemeißelt hat.
Die Steinmetzmeisterin leitet seit 2017 in Düsseldorf die renommierte Bildhauerwerkstatt von Friedrich Meyer, der sich nicht nur als Steinmetz, sondern auch als Künstler bundesweit einen Namen gemacht hatet. Gute Grabmale seien Kunstwerke, hat der heute 80-Jährige immer betont. 1967 gründete er seine Werkstatt und arbeitete seither gegen den Trend der Massenprodukte. Seine Arbeiten sind preisgekrönt. Die helle, freundliche Werkstatt direkt am Friedhof Itter im Düsseldorfer Süden hat er selbst gebaut. Heute führt seine einstige Schülerin den Betrieb in Zusammenarbeit mit dem Steinmetzmeister Martin Vetten weiter.
Wir stellen kein Plakat her. Der Stein an sich soll wirken.
// Anna Staudt
„Jeder unserer Grabsteine ist individuell gefertigt, oft nach langen Gesprächen und mehrfachen Besuchen der Trauernden. Manchmal laden mich die Kunden auch zu sich nach Hause ein, damit ich einen besseren Eindruck bekomme. Schon allein diese Beschäftigung mit der Entstehung des Grabsteins hilft den Menschen, besser mit dem Verlust umzugehen.“ Auch für sie sind die Unterhaltungen besonders. „Alle Eitelkeiten fallen plötzlich weg“, erzählt Anna Staudt. Dass sie zu ihren schwarzen Haaren auch rundum schwarze Sachen trägt, ist Zufall. Schwarz ist einfach ihre Farbe.
Für die Trauerenden ist sie eher ein Lichtblick. „Ein Grabstein ist am Ende eines Entstehungsprozesses etwas sehr Schönes, ein Ort, an den man gerne hingeht“, sagt die 37-Jährige. Manchmal nehmen die Trauernden auch ein Stück des Steines mit nach Hause – und sei es nur ein Bohrkern. „So entsteht eine Verbindung vom Friedhof in die Wohnung.“
Manchmal muss es schnell gehen, manchmal darf ein Grabstein auch ein halbes Jahr dauern. „Stein ist ein sehr hartes Material. Die Arbeit daran ist entschleunigend.“ Aber auch kräftezehrend. Schwere Maschinen hat Anna Staudt in den Werkräumen stehen – von der großen elektrischen Säge, über Schleifmaschinen, Sprengeisen und Stockhammer bis hin zu ganz kleinen Meißeln, mit denen sie Buchstaben und Ornamente einbringt. Dementsprechend sieht auch die Kleiderstange in ihrem Atelier aus: dicke Gummischürzen hängen dort, Schutzbrillen, Helme und Ohrschützer und unten drunter reihen sich die kniehohen Arbeitsstiefel aneinander.
Etwas fällt bei allen Steinen in Annas Ausstellung auf: die Inschriften sind klein und dezent gehalten. „Wir stellen kein Plakat her. Der Stein für sich soll wirken. Der Name ist dann wie ein Schmuckstück obendrauf.“ Besonders machen die Steine die individuell gearbeiteten Flächen. Manchmal setzt sie auch Löcher, die wie Lichtblicke wirken und eine Verbindung ins Jenseits symbolisieren. Mal sind es Treppenaufgänge, die zum Licht führen und mal kleine Öffnungen, in die Erinnerungsstücke eingefügt werden.
Wenn die Steinmetzin manchmal monatelang an einem Grabstein feilt, hat dieser seinen Preis. Trotzdem kann sich Anna Staudt nicht über fehlende Aufträge beschweren. „Ich habe eher mehr als weniger zu tun“, sagt sie mit einem zufriedenen Lächeln. Der Preis aber steht nicht im Vordergrund. Die Dankbarkeit der Kunden macht ihr Schaffen so positiv.
Für das richtige Material steigt sie selbst in Steinbrüche
Dazu paart sich ihre eigene Freude an der Arbeit. „Mich reizt das Alte. Manche Steine haben Millionen Jahre auf dem Buckel. Sie sind ein Mysterium und strahlen eine Schönheit aus, die mich anspricht.“ Besonders gern arbeitet sie wie ihr Lehrmeister Friedrich Meyer, der immer freitags zum Mittag kommt, mit schwarzem, schwedischem Granit. Doch auch aus Indien oder Afghanistan kommen ihre Findlinge und Natursteine. Jüngst ist sie selbst in chinesische Steinbrüche gestiegen, um sich die schönsten Basalte auszusuchen. Auch industriell verarbeitete Steine finden sich in ihrer Freiluft-Ausstellung – so möchte sie verschiedenen Geschmäckern gerecht werden.
Am liebsten aber sind ihr jene Grabsteine, die sich auf dem Friedhof in die Landschaft einfügen und nach und nach mit der Natur verschmelzen. „Wenn ein Stein eine gewisse Patina bekommt, Moos ansetzt oder grün wird, so spiegelt dies den natürlichen Prozess wider.“
Die aktuelle Entwicklung der Friedhofskultur hin zu mehr Anonymität beobachtet die Steinmetzin gegenüber auf dem Friedhof Itter mit Sorge. „Ich sehe regelmäßig Menschen, die auf den Wiesen in Tränen ausbrechen, denn sie suchen verzweifelt die Stelle, wo die Urne ihres Angehörigen liegt. Nicht selten werden solche Gräber wieder geöffnet und die Toten umgebettet, weil den Angehörigen ein Ort zum Trauern fehlt.“
Wie soll der Ort aussehen, an dem meine Liebsten mich später einmal besuchen. Wie sollen sie sich dort fühlen und wie sich an mich erinnern? „Vielleicht sollten wir uns diese Frage schon zu Lebzeiten stellen“, findet Anna Staudt.
Vita Anna Staudt
- 1982 geboren in Koblenz
- 2001 Ausbildung zur Steinbildhauerin bei Friedrich Meyer in Düsseldorf
- 2004/05Steinbildhauern in Grenchen/Schweiz
- 2005-08 Steinrestaurierung in Leuzigen/Schweiz
- 2008-14 Leiterin Modellbauwerkstatt im Atelier Peter Zumthor, Haldenstein/Schweiz
- 2014-17 Mitarbeiterin bei Friedrich Meyer in Düsseldorf
- 2017 Meisterbrief des Steinmetz- und Bildhauerhandwerks
- 2017 Übernahme der Bildhauerwerkstatt Friedrich Meyer in Düsseldorf
Bildnachweis: Fotos Handwerkskammer
Fotografin: Heike Herbertz