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Ist am Ende Schluss mit Lustig?

Eine Krankenschwester rennt aufgeregt ins Ärztezimmer. «Herr Doktor, der Simulant auf Zimmer 9 ist soeben gestorben.» «Also jetzt übertreibt er wirklich!» Ist das schwarzer Humor? Darf man so etwas erzählen? Unter welchen Bedingungen? Wer lacht mit, wer nicht? Gibt es eine «Indikation» für solche Witze, bestimmte Risiken und Nebenwirkungen?

Ist am Ende Schluss mit Lustig?

Unsplash / Intricate Explorer

Humor und Lachen befreit, schenkt Augenblicke der Begegnung und Erleichterung…

und schafft eine Verbindung zwischen dem Erzähler und den zuhörenden Lachenden. Der Clown in Bölls berühmten Roman weiß dies. Und es gilt nicht nur für die, die mitten im Leben stehen, sondern auch für diejenigen am Lebensende.

Der Clown, modern gesprochen: der Humortherapeut, ist ein Sonderfall im Kreis der lustigen Menschen. Psychologisch gesehen repräsentiert er das «innere Kind». Ursprünglich hat er sich aus der Typologie der Stammesheiligen bzw. Priester entwickelt, die in früheren Zeiten auch als Spassmacher aufgetreten sind. Daraus haben sich dann später Figuren wie der Hofnarr, der Gaukler oder der Dumme August entwickelt. Ihre Aufgabe bestand darin, bestehende Narrative zu hinterfragen bzw. gegen Tabus anzugehen, konventionelle Deutungen und Regeln zu kritisieren und somit auch jegliche Form von Absolutheit (politisch, religiös). Vor allem der Hofnarr hatte dabei eine nahezu grenzenlose Freiheit in seinem satirischen Spott: er durfte dem König «alle Schand» sagen, ohne selber Sanktionen befürchten zu müssen. Somit eignet sich auch das Sterben thematisch für den Clown, weil ja der Tod tatsächlich ein «Skandal» ist für den unbedingten Lebenswillen eines Menschen, aber auch eine Provokation für unsere hoch technologisierte (schulmedizinische) Welt, in der sonst (fast) alles machbar zu sein scheint.

Und was ist eigentlich Humor?

Humor ist, nach einer Definition im Duden, «die Fähigkeit eines Menschen, der Unzulänglichkeit der Welt und der Menschen, den Schwierigkeiten und Missgeschicken des Alltags mit heiterer Gelassenheit zu begegnen, sie nicht so tragisch zu nehmen und über sie und sich lachen zu können.»

Humor [engl. humor; lat. umor Feuchtigkeit] kommt begrifflich aus der Welt der Körpersäfte, wie wir sie von Hippokrates und Galen (+ 200 n. Chr.) kennen. Aus dem Blut bzw. aus den Körpersäften glaubte man, das allgemeine psychische und charakterliche Gefüge bzw. auch die Krankheiten eines Menschen herleiten zu können. Im übertragenen Sinn entwickelte sich das Wort Humor im 18. Jhd. zu einer Kategorie des Fröhlichen oder Komischen.

Lachen ist gut – für die Seele

Auch wenn ein unheilbar Erkrankter nach menschlichem Ermessen nicht mehr gesunden wird: Lachen ist dennoch immer gesund, was bereits der Volksmund weiss. Es hat physiologische Effekte: ist zirkulationsanregend für das Herz, erhöht die Sauerstoffsättigung der Lunge, schüttet angenehme Neuroendorphine aus, fördert die Entspannung in den Muskeln sowie die Aktivität des autonomen Nervensystems. Das alles beschreibt die Gelotologie: die Wissenschaft der Auswirkungen des Lachens. Neurologen, Immunologen, Stressforscher und Psychologen wissen davon ein Lied zu singen.

Ich habe in meinem Kabarett-Programm «Der Tod ist doch das Letzte!» eine Nummer «Chemotherapie» gespielt, mehrere Male auch vor Krebskranken. Darin erwähnte ich, dass manchmal die Chemotherapie selber aufgrund der stark veränderten Blutwerte Leukämie provozieren kann, dass man also «den Teufel mit dem Beelzebub austreibt», wie man früher sagte. Danach gab es einige berührende Begegnungen. So erzählte mir eine an Brustkrebs erkrankte Zuhörerin von ihrem Dialog, den sie zwischen dem «Teufel» und dem «Clown» jeweils vor einer Chemotherapie führt. Dafür nahm sie Puppen aus einem Kasperletheater, welches ihr noch aus ihrer aktiven Zeit als Kindergärtnerin geblieben war. Ich hatte im Kabarett erwähnt: «Sterben ist ein scheiss Tod; aber er kommt nur einmal. Damit kann man leben.» Diese Doppeldeutigkeit fand sie ziemlich witzig und lachte lauthals. Sie fühlte sich durch meinen schwarzen Humor nicht verlacht oder bloß gestellt. Warum? Weil sie bzw. ihr «Clown» sich nicht vor dem Sterben fürchte, so meinte sie.

Ja, wie lacht man über sich selbst, wenn das Leben so belastet ist?

Es gibt ein Stufenmodell des Humors nach Iren Bischofberger (Das kann ja heiter werden, Bern 2008). 1 und 2) Humorlose Menschen können kaum lachen oder höchstens über andere. 3) Mit der Fähigkeit zur Selbstironie kann man auch über sich selber lachen. 4 und 5) Man lässt auch andere über sich lachen – oder noch besser: man lacht gemeinsam mit anderen über sich selbst.

Die erwähnte Kindergärtnerin bewegte sich auf den beiden letzten Stufen. Dafür war mir aber bewusst, auf welch schmalem Grat ich mich da bewegte: es gibt ja auch eine dunkle Seite des Humors.

Schwarzer Humor und Zynismus

Schwarzen Humor finden wir z.B. in den stressbefrachteten Arbeitsfeldern des Gesundheitswesens. Unzählige Witze werden von bzw. über Notärzte oder Rettungssanitäter erzählt. Wo es um Leben und Tod geht, hat der Humor bzw. der Witz offensichtlich eine wichtige entlastende Funktion, weil er die sonst schwer verdauliche Wirklichkeit ertragen lässt. Hier liegt auch der Unterschied zum Zynismus. Dieser will den Menschen gegenüber an seinem wunden Punkt treffen und blossstellen, während der Humor niemals verletzen will.

Lachen und Auslachen

Eine ähnliche Unterscheidung lässt sich beim Lachen finden. Im gemeinsamen Lachen zeigt sich Verbundenheit der Menschen – auch und gerade angesichts des Sterbens.  Dieses Erleben von Solidarität kann dem Schwerkranken oder Sterbenden eine wertvolle Unterstützung sein. Im Auslachen eines anderen wird ein Witz jedoch auf Kosten des anderen gemacht. Dies setzt ihn herab oder macht ihn als lächerlich, und zementiert ein Machtgefälle zwischen dem Lachenden und dem Verlachten.

Ernstnehmen und Verletzen

Wenn ein Todkranker oder ein trauernder Mensch mit Witzen konfrontiert wird, kann das irritieren oder sogar abstoßen. Zum Wesen des Humors gehört es dagegen, den anderen ernst zu nehmen. Dies ist nur vordergründig paradox. Monika Müller (Dem Sterben Leben geben, Gütersloh 2004) formuliert dazu:

„Sucht man nach dem Gegenteil von Humor, drängt sich zunächst der Ernst auf. Doch wie Tragödie und Komödie nahe beieinander liegen, sind auch Humor und Ernst keine Gegensätze. Im Ernst erkennt man die Schwere und möglicherweise Bedrohung einer Situation, im Humor wird die Situation benannt, ohne Peinlichkeit und Beschönigung. Der Humor ist damit keine Verdrängung, kein Nicht-verstehen, im Gegenteil, der Humor durchschaut die Situation. Er erkennt die Bedrohung, er stellt sich ihr, begegnet ihr mit Güte, nicht mit Schärfe.“

 

Die Oma macht ihr Fahrrad parat.
«Wohin gehst du?», fragt die Enkelin.
«Ich gehe Opa auf dem Friedhof besuchen.»
«Und wer bringt dann das Fahrrad wieder zurück?».
Schön, wenn man dabei lachen kann und wenn es somit einen Augenblick der Heiterkeit und der Güte gibt. Nicht nur als Clown kann man diese Augenblicke sammeln, sondern auch als Betroffener. Schliesslich sollte man nicht vergessen: die Todesrate der Gattung Mensch liegt nach neuesten Studien der John-Hopkins-Universität bei 100 %.

 

Wolfgang Weigand, freischaffender Theologe und Autor, CH-Winterthur
www.abschiedsfeiern.ch  www.schritte.ch

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