© Louise Brown
Mein Sohn verunglückte im August 2020 bei einer Wildwasserfahrt auf der Drau in Österreich. Diese Fahrt wird jedes Jahr ausgeschrieben und Hartmut hatte schon mehrmals daran teilgenommen. Im Corona-Jahr 2020 fiel sie jedoch offiziell aus. Drei Kanuten aus dem Märkischen Kanu-Verein beschlossen, trotzdem zu starten, wie einige andere Kanuten auch.
Eine Frau kenterte und konnte gerettet werden. Es musste nur noch ihr Boot geborgen werden. Das sollte Hartmut erledigen. Doch von dieser Alleinfahrt kehrte er nicht mehr zurück.
Da die Fahrt im Corona-Jahr nicht ausgeschrieben war, fehlten die Retter, die sonst an schwierigen Stellen am Ufer bereitstehen.
Radfahrer fanden ihn schließlich am Ufer liegend und lösten den Notruf aus. Die Retter versuchten, ihn zu reanimieren und brachten ihn per Rettungs-Hubschrauber ins Krankenhaus, wo er noch am Abend starb.
Hartmut liebte das Paddeln
Wir Eltern nahmen ihn und seinen Bruder von klein auf mit. Als sie Schulkinder waren, bekam jeder sein eigenes Kanu. Von Mai bis September ging es an den Wochenenden und in den Ferien zum Seddinwall – der Insel der Kanuten –, einer Insel im Seddinsee. Dort gab es einen Spielplatz, Platz für Ballspiele und viele Spielgefährten. In besonderer Erinnerung blieb ein sehr stürmischer Sonntag, an dem die Wellen so hoch waren, so dass man die Insel nicht verlassen konnte. Hartmut freute sich riesig, weil damit die Schule am Montag ausfiel
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Hartmut wurde am 7. April 1962 in Berlin geboren. Er wuchs in Berlin-Treptow auf. Er hatte einen jüngeren Bruder, Jens. Hartmut war ein gutmütiges Kind und hat für sein Leben gern gegessen. Damit ließ er sich von seinem Bruder auch mal erpressen. In der Schule haben die Jungs viel Mist gebaut, zum Beispiel Wasserhähne abgeschraubt. Schule lag ihm nicht so.
Nach der Schule machte er eine Lehre zum Schlosser. Zu DDR-Zeiten waren Handwerker gefragt. Später hat er ein Ingenieur-Studium abgeschlossen. Danach war er als selbstständiger Bauleiter in Deutschland unterwegs. Als seine Kinder älter wurden, blieb er in Berlin.
1992 lernte er seine Frau kennen. 1998 und 1999 wurden ihre Söhne geboren. Die Kinder waren oft mit ihren Eltern unterwegs oder auch nur mit ihrem Papa. Hartmut hat mit seinen Kindern immer etwas unternommen: Klettern, Paddeln, Skifahren und Snowboarden. Es waren nicht nur die Sportarten, sondern auch Disziplin, Verantwortung und Durchhalten, die er von seinem Vater gelernt hat, sagte sein Sohn in seiner Traueransprache auf Hartmuts Beerdigung.
Hartmut war ein Familienmensch
Man konnte gut mit ihm reden und von ihm einen Ratschlag holen. Er kam gleich helfen, wenn man Hilfe brauchte. Er hat immer das Positive gesehen. Er war aktiv, hatte aber auch eine Gelassenheit. Er hat gerne geredet, konnte aber auch zuhören. Er hatte immer einen frechen Spruch parat. Er hatte Humor, auch wenn sein Bruder ihm überlegen war. Er hat sich Zeit für seine Familie und für mich genommen. Er kam oft zu mir zum Frühstück. Wenn er anschließend zu seinem Bus ging, dann hat er mich gedrückt. Er war ein liebevoller Mensch. Ob Essen, Wein, Paddeln, Musik: Hartmut hat das Leben genossen. Er hat intensiv gelebt und war zufrieden mit seinem Leben.
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Mein Mann starb ein Jahr vor Hartmut
Ich war kaputt von der Pflege und habe in den Jahren auf alles verzichtet. Nach Hartmuts Tod hat mich meine Schwester ganz doll unterstützt. Auf dem Weg zu seinem Grab schaue ich immer an dem meines Mannes vorbei. Ein Kind zu verlieren, das ist anders, das ist nur schlimm. Eigentlich denke ich immer daran.
Früher habe ich den Friedhof als nicht so wichtig betrachtet, aber nun komme ich jede Woche mit meiner Schwester hierher. Dann trinken wir auch mal einen Eierlikör auf Hartmut und reden über ihn. Es gibt eine Vertrautheit an diesem Ort. Hier ist immer noch eine Zuwendung an Hartmut möglich. Am Grab ist es schön, hier kann man an alle möglichen Dinge denken. Es gibt hier viel Ruhe und das gibt Kraft.
Autorin: Louise Brown, Autorin / Diogenes-Verlag: Was bleibt, wenn wir sterben
Sie studierte Politikwissenschaft in Nordengland, Kiel und Berlin. Sie ist Journalistin und seit einigen Jahren auch als Trauerrednerin in Hamburg tätig. Dort moderierte sie auch das erste ›Death Café‹. In ihrem Podcast ›Meine perfekte Beerdigung‹ spricht sie mit Menschen darüber, wie sie einmal verabschiedet werden wollen.
Vom 01. April bis 29. Oktober 2023 zeigt das Sepulkralmuseum Kassel die Sonderausstellung „Trost – Auf den Spuren eines menschlichen Bedürfnisses“.
Dabei wird das Phänomen Trost aus verschiedenen kulturellen, religiösen und künstlerischen Perspektiven betrachtet. Wie wir Verlusterlebnissen und den damit verbundenen Schmerzen begegnen können wird vielfältig erfahrbar.
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