Mein Name ist Andreas. Meine Frau Christa starb 2019 an einer sehr aggressiven Form von Brustkrebs. Nun bleibt mir nur noch die Möglichkeit, ihr Grab täglich zu besuchen. Hier kann ich meinen Alltag, auch als Rentner, reflektieren. Mir fehlen die täglichen Gespräche mit Christa sehr, denn der Austausch untereinander hat uns über die 38 Jahre des gemeinsamen Lebens immer begleitet.
Ein persönliches Grabmal aus Sandstein
Das Grabmal für Christa ist zusammen mit unseren drei Kindern entstanden. Uns war es wichtig, dass sich viele Elemente aus unserem gemeinsamen Leben in dem Grabstein widerspiegeln. Meine Frau und ich waren sehr oft in der Sächsischen und in der Böhmischen Schweiz unterwegs. Dies ist ein Sandsteingebirge. So haben meine Kinder und ich ein Grabmal aus Sandstein ausgewählt. Auch wenn der Sandstein nicht aus der Sächsischen Schweiz stammt, die Art des Steines war uns wichtig. Ebenso entstand das Lichtkreuz im Dialog mit den Kindern. Das Licht leuchtet durch den Stein, für uns ein Symbol der Auferstehung. Der waagerechte Arm des Kreuzes läuft über dem Namen von Christa aus und soll ihr Schutz geben. Für mich war auch die Anordnung des Spruches auf dem Grabstein wichtig. Der von uns abgeleitete Spruch aus dem Buch der Sprüche „Alles hat seine Zeit, eine Zeit zu leben, eine Zeit zu lieben und eine Zeit der dankbaren Erinnerung“ ist in Form eines Tores angeordnet, welches für mich an ihrem Grab täglich neu Gültigkeit hat.

Gemeinsam das Neue entdecken
Meine Frau und ich lernten uns 1977 bei einem Jugendurlaub in der Hohen Tatra kennen. Christa studierte in Leipzig, ich in Dresden. Im Jahr 1980 haben wir geheiratet. Was mochte ich an ihr? Das Entdecken des Neuen. Christa hat immer versucht, etwas Neues zu machen. Sie arbeitete an der Volkshochschule als Englischlehrerin. Sie sagte immer wieder „Meine Schüler müssen nicht lernen, sie wollen lernen“. Viele Impulse für unser gemeinsames Unterwegssein hat sie von ihren Hörern mit nach Hause gebracht. Die Frage lautete dann oft, „Wollen wir das auch machen, uns anschauen?“ Sie war immer offen, neugierig und lachte gern. Unterwegssein, im wahrsten Sinne des Wortes, war ihr wichtig.
Ihren 62. Geburtstag hat Christa nicht mehr erlebt. 2016 wurde bei ihr Brustkrebs diagnostiziert, in einer der aggressivsten Formen. Vor der Diagnose dachte ich immer, wenn der Brustkrebs rechtzeitig erkannt wird, ist eine Heilung möglich. Dass dies nicht so ist, musste ich auch erst lernen. Im Sommer des folgenden Jahres galt Christa als geheilt. So wanderten wir gleich in den Ferien auf dem St. Begas Way im Lake District in England. Der Schock kam dann im Januar 2018, als bei ihr Metastasen festgestellt wurden. Trotz der wieder anstehenden Therapien war das Jahr 2018 für uns ein Jahr mit vielen gemeinsamen Unternehmungen. Im Januar 2019 lehnte sie dann jede weitere Behandlung ab, da alle bisherigen Therapien bei ihr nicht angeschlagen haben. Aus ihrer Entscheidung sprach ihre Hoffnungslosigkeit.
Abschied nehmen, Abschied gestalten
Die Zeit von Januar bis März war eine der für uns intensivsten gemeinsamen Zeiten. Christa hat bewusst von der Familie, den Freunden und Kollegen Abschied genommen. Für die Kinder und für mich hat sie einen persönlichen Abschiedsbrief geschrieben. Christa bis zu ihrem Tod zu Hause zu pflegen war für mich selbstverständlich. Am Tag vor ihrem Tod haben meine Söhne und ich sie noch einmal auf den Balkon tragen können. Sie genoss einfach die Sonne, die auf ihr Gesicht schien und sie wärmte. Sie lächelte. Es war ein Geschenk, dass Christa zu Hause sterben konnte.
Wenn ich am Grab meiner Frau bin, gehen mir oft die Bilder unserer gemeinsamen Zeit durch den Kopf. An unsere Hochzeitsreise nach Bulgarien, die Zeit als die Kinder unsere Familie vergrößerten. Aber auch an das gemeinsame Frühstück am Samstagmorgen, als wir Pläne schmiedeten und über „Gott und die Welt“ sprachen.
Die Frage, warum Christa sterben musste, habe ich mir nur am Anfang gestellt. Es gibt keine Antwort darauf. An dieser Frage geht man selbst nur kaputt. Man kann den Tod des Partners nur akzeptieren, doch genau dies ist das Schwerste. Trauern ist immer eine Entwicklung. Am Anfang will man es nicht wahrhaben, was geschehen ist. Heute bin ich einfach nur dankbar für die uns geschenkte, gemeinsame Zeit.

Ein Ort, an dem Gemeinsamkeit spürbar wird
Am Grab meiner Frau spüre ich immer wieder unsere Gemeinsamkeit. Auch der Körper war ein Teil von meiner Frau. Aus diesem Grund habe ich auch die Erdbestattung gewählt. Mir stand es nicht zu, den Körper meiner Frau zu „zerstören“. Die körperliche Nähe war uns immer wichtig, eine Umarmung und schon die Begrüßung mit der Hand. Dies ist jetzt nicht mehr möglich, aber am Grab gibt es eine Nähe.
Die Lieder für den Abschiedsgottesdienst hat Christa selbst ausgewählt. Unter anderem auch „Ohne dich“ von Rammstein. Dies hat unser jüngster Sohn mit Klavierbegleitung selbst gesungen. Dafür werde ich ihm immer dankbar sein. Heute ist es für mich zu einem Ritual geworden, an ihrem Grab ein Lied abzuspielen. Das kann Bruce Springsteen sein mit „I will see you in my dreams“, aber auch „Der Weg“ von Grönemeyer oder „Es war schön“ von den Puhdys.
Ich arbeite mit im Freundeskreis hier auf dem Friedhof. Für mich lebt der Friedhof. Dazu gehört auch, dass ich eine Erdbeerpflanze auf Christas Grab gepflanzt habe, denn Erdbeeren waren ihre Lieblingsfrüchte.
Christas Lachen, ihre Freundlichkeit, ihr immer wieder Neues entdecken wollen, fehlen mir. Aber vor allem fehlt mir ihre Liebe. Die Richtung, die wir gemeinsam in unserem Leben eingeschlagen haben, versuche ich nun allein weiterzugehen. In meinen Hosentaschen habe ich immer einen kleinen Stein von ihrem Grab. So habe ich immer ein Stück von ihrer Ruhestätte bei mir.
Autorin: Louise Brown, geboren 1975 in London, ist Journalistin und auch als Trauerrednerin in Hamburg tätig. Dort moderierte sie das erste ›Death Café‹. In ihrem Podcast ›Meine perfekte Beerdigung‹ spricht sie mit Menschen darüber, wie sie einmal verabschiedet werden wollen. 2021 erschien im Diogenes Verlag ihr Buch ›Was bleibt, wenn wir sterben‹, 2023 ihr Trauerjournal ›Was bleibt, wenn wir schreiben‹.