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Edinburghs Friedhöfe und der trauernde Hund

Wer Edinburgh besucht, stößt auf die Gräber illustrer Toter, die das Gesicht der Stadt, die schottische Geschichte und manchmal auch die europäische Kultur in den vergangenen fünfhundert Jahren geprägt haben.

Edinburghs Friedhöfe und der trauernde Hund

© Bernhard_Maier

Einen guten Blick über die schottische Hauptstadt gewährt der Calton-Hügel gegenüber der Burg, wo man die Altstadt zur Linken, die seit dem achtzehnten Jahrhundert angelegte Neustadt zur Rechten und den Firth of Forth mit dem Hafen von Leith im Rücken hat. Zwischen Alt- und Neustadt verläuft in west-östlicher Richtung die Princes Street mit dem markanten Uhr¬turm des Balmoral Hotel und dem neugotischen, in frühviktorianischer Zeit errich¬teten Scott Monument. Weithin sichtbar erhebt sich auf dem Calton-Hügel das kreisrunde Denk¬mal zu Ehren des Philo¬so-phen Dugald Stewart, eines Vertreters der schot¬ti¬schen Aufklärung, das 1831 als Reverenz an die Klassische Antike, in Anlehnung an das soge­nann­te Lysi­krates-Monument in Athen, errichtet wurde. Begraben ist der Philosoph aller­dings nicht hier, sondern auf dem Canon­gate-Friedhof unweit der Royal Mile. Auf diesem Friedhof, der im späten siebzehnten Jahrhundert angelegt wurde, liegen auch der Wirt­schafts­theoretiker Adam Smith und der Dichter Robert Fer­gusson, ein früh ver­stor­bener älte­rer Zeitge­nosse des National­dichters Robert Burns. Seit 2004 erinnert eine lebens­große Bronzestatue des Dichters auf dem Bürgersteig vor dem Ein­gang zum Friedhof an diesen Mitbegründer der neueren schotti­schen Literatur. Eine Bronzeplakette an der Canongate-Kirche weist daraufhin, dass der Über­lie­ferung zufolge hier auch David Rizzio begraben sei, jener un­glückliche Privat­sekretär Maria Stuarts, der 1566 im Palast von Holyrood brutal ermordet wurde. Die Überlieferung erscheint kaum glaubhaft, denn warum hätte man einen italienischen Katholiken über hundert Jahre nach seinem Tod auf einem neu ange­legten protestantischen Friedhof zur letzten Ruhe betten sollen? Wahr­schein­lich spiegelt sich in der Geschichte nur die anhaltende Faszination, die das tragische Schicksal und das gewaltsame Ende des Sängers noch heute ausüben … (und die ihm noch heute in jeder Führung durch die Gemächer Maria Stuarts im Palast von Holyrood einen festen Platz sichert).

Der trauernde Hund

Ebenso interessant wie der Canongate-Friedhof ist der nicht weit davon entfernte Greyfriars Kirkyard gegenüber dem 1998 eröffneten Sandstein-Neubau des Museum of Scotland. Der Name Greyfriars erinnert an die grauen Kutten der Franziskaner, die dort bis 1560 ein Kloster unterhielten, das dann im Zuge der Reformation aufgelöst wurde. Gleich 1561/62 legte man auf dem Gelände des ehemaligen Klosters einen Begräb­nis­platz an, um den über­füll­ten Friedhof der nahegelegenen St Giles’ Cathedral zu entlasten. Den Eingang des Friedhofs erreicht man über eine kleine Gasse, gleich hinter der Greyfriars Bobby Bar. Unübersehbar erhebt sich dort auf einer Brunnensäule vor dem Lokal die lebensgroße Bronzestatue des 1872 verstor­be­nen Hundes Greyfriars Bobby, von dem es heißt, er habe die letzten vierzehn Jahre seines Lebens am Grab seines Besitzers auf dem nahege­le­genen Friedhof zugebracht. Seit einiger Zeit kursiert die Vorstellung, es bringe Glück, wenn man dem Hund über die Nase wischt – sehr zum Ärger der Denkmalschützer und Restauratoren.

© Bernhard_Maier

Am Eingang des Friedhofs belehrt eine Tafel die Besucher über die historische Bedeutung der Kirche und des sie umgebenden Friedhofs. Hier verpflichteten sich am 28. Februar 1638 die sogenannten Covenanters in einem Treueschwur dazu, entgegen den Plänen König Karls I. an der reformierten Theologie und presbyterianischen Verfassung der Schottischen Kirche festzuhalten. Nach der Hinrichtung Karls I. spielten die Covenanter eine wichtige Rolle, doch als sie 1679 gegen seinen Nachfolger Karl II. rebellierten, erlitten sie eine vernichtende Niederlage. Ungefähr vierhundert von ihnen wurden unweit des Friedhofs gefangengehalten, weshalb einige Grabgewölbe, die tatsächlich aus späterer Zeit stammen, in volkstümlicher Überlieferung als Covenanters Prison bekannt wur­den.

© Bernhard_Maier

Zu den ersten, die in Greyfriars Kirkyard beigesetzt wurden, gehört der zu seiner Zeit berühmte Humanist George Buchanan, der sich sich nach langjähriger Lehrtätigkeit auf dem Kontinent 1562 zur Reformation bekannte, danach als Hauslehrer der katholischen Maria Stuart tätig war und 1579 eine oft zitierte Streitschrift gegen die unbeschränkte Macht der Könige verfasste. „Könige existieren durch den Willen des Volkes“ steht dort zu lesen.
In Greyfriars Kirkyard findet man jedoch auch das Grab eines weiteren gälischen Dichters, nämlich des 1812 verstorbenen Duncan Bàn Macintyre. Er verbrachte viele Jahre als Jäger und Wildhüter im heimatlichen Hochland, dessen Schönheit er in seinen Naturgedichten feierte.

© Bernhard_Maier

Den Sockel seines 1855 errichteten Grabmals ziert die erste Strophe eines Gedichts, das der Autor in der Tradition des Memento mori wohl als eines seiner letzten Werke verfasste:
„O Mensch, der Du an meinem Grabstein stehst, / Ich war einst so, wie Du jetzt bist. / Mein Bett heute ist das Grab: / Kraftlos und machtlos sind meine Gebeine. / Bist du selbst auch stark und jung, / Wirst doch auch Du nicht ewig leben. / Lass mich Dir raten und sei weise; / Denke oft: einst kommt der Tod.“

„Lasst seine Treue und Anhänglichkeit uns allen eine Lehre sein.“

Nicht weit von der Kirche entfernt steht schließlich seit 1981 auch ein Grabstein aus rotem Granit, den die Tierschutzorganisation The Dog Aid Society of Scotland in Auftrag gab und der am 13. Mai 1981 von einem Mitglied der königlichen Familie, dem Herzog von Gloucester, eingeweiht wurde. Er erinnert an den schon erwähnten, über den Tod hinaus treuen Skye-Terrier Greyfriars Bobby, der am 14. Januar 1872 verstarb, und gibt dem Besucher ebenfalls eine Mahnung mit auf den Weg: Let his loyalty and devotion be a lesson to us all.

© Bernhard_Maier

Zweifel an der Geschichte von Greyfriars Bobby äußerten allerdings schon Zeitgenossen. Eine neuere historische Studie sieht den Ursprung der Geschichte in dem Umstand, dass viele Friedhöfe zu seiner Zeit von streunenden Hunden aufgesucht und von den Besuchern gefüttert wurden. Da man Hunden gerade im späten neunzehnten Jahrhundert gerne menschenähnliche Eigenschaften zuschrieb, entspann sich daraus mitunter die Vor­stellung, dass einer dieser Vierbeiner das Grab seines Besitzers aufsuchen – dort Wache halten könnte. Nicht zuletzt wurde darauf hingewiesen, dass von dem Greyfriars Bobby genannten Hund zwei deutlich verschiedene zeitgenössi­sche Abbildun­gen überliefert sind, so dass hier vielleicht unterschiedliche Erzäh­lungen über zwei verschiedene Tiere miteinander verschmolzen sind. Da manche der betei­ligten Personen namentlich bekannt sind, kann man auch über ihre Ab­sichten und Motive zumindest begründete Vermutungen anstellen. Wer jedoch sieht, was die Besucher auch heute noch an Blumen, Stöckchen, Hundespielzeug oder kleinen Steinchen am Grabstein zurücklassen, wird kaum bezweifeln, dass die Moral der Geschichte letztlich nicht von ihrem Wahrheitsgehalt abhängt:

„Lasst seine Treue und Anhänglichkeit uns allen eine Lehre sein.“

 

Prof. Dr. Bernhard Maier studierte Vergleichende ReligionswissenschaftSprachwissenschaftKeltische Philologie und Semitistik. 1998 habilitierte er sich an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn zum Thema: Die Religion der Kelten: Götter, Mythen, Weltbild. Er ist Autor vieler Publikationen.

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