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„Ich studiere den Tod“ ⑥

„Perimortale Wissenschaften“ ist der neue Master-Studiengang an der Universität Regensburg: Sterben, Tod und Trauer interdisziplinär. Die Autorin Sarah Zinn ist seit Oktober 2020 immatrikulierte Studierende und berichtet in unserer Serie von ihren Erfahrungen mit diesen großen Lebensthemen.

„Ich studiere den Tod“ ⑥

Logogestaltung: Sophie Wetterich

Friedhofs- und Bestattungskultur // Ein Seminarrückblick / Juni 2021

Die Theo-Remmertz-Akademie im mittelfränkischen Münnerstadt richtet die überbetriebliche Ausbildung für den Ausbildungsberuf der Bestattungsfachkräfte aus. Hier lernen angehende Bestatter:innen zum Beispiel alles über die Totenfürsorge, den Bau und die Ausstattung von Särgen, die verschiedenen Bestattungsarten und auch die Ausgestaltung von Trauerfeiern. Außerdem findet sich an der Akademie ein Lehrfriedhof, auf dem Grabgestaltung, Materialkunde und auch praktische Arbeiten wie das Ausheben der Gräber geübt werden können. In dieser besonderen Einrichtung durften die Studierenden der Perimortalen Wissenschaften ein ganzes Wochenende verbringen und mehr über die Bestattungs- und Friedhofskultur in Deutschland lernen.

Über die Verortbarkeit von Trauer

Für viele Menschen haben Friedhöfe eine sehr heilsame und klar definierte Bedeutung. Sie sind Orte des Erinnerns, ermöglichen Besuche bei der verstorbenen Person und geben Raum für eine Trauer, die im Alltag oft nur schwer einen Platz findet. Die individuelle Gestaltung der Grabstätte kann helfen, einen erlittenen Verlust zu verarbeiten, und dem Charakter der verstorbenen Person Ausdruck zu verleihen. Der Friedhof ist in diesem Fall eine wichtige Konstante in der persönlichen Trauerarbeit.

Gleichzeitig zeigt sich auf Friedhöfen auch der Trend hin zu mehr pflegefreien und anonymen Grabstätten. Für diese Entwicklung gibt es verschiedenste Gründe. So können fehlende finanzielle Mittel, die Abwesenheit von Zugehörigen vor Ort, die sich um die Grabstelle kümmern könnten oder auch der Wunsch der verstorbenen Person, im Tod keine Last für Andere zu sein, mögliche Entscheidungskriterien für eine einfachere Beisetzung darstellen.

Scheinbar verlieren Friedhöfe als Trauerort für einige Menschen an Bedeutung. Doch wo findet die Erinnerung stattdessen ihren Platz? Verschiebt sie sich in den privaten Raum? Werden Friedhöfe zukünftig für die individuelle Trauerarbeit überflüssig werden? Diesen und weiteren Fragen müssen wir uns gesamtgesellschaftlich stellen, um Trauerorte auch weiterhin in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen – als Teil einer gelebten und zukunftsorientierten Trauer- und Sterbekultur.

Wieviel Individualität braucht Trauer auf dem Friedhof?

Besonders im ländlichen Raum wird oft sehr auf die genaue Einhaltung der jeweils geltenden Friedhofsordnung geachtet. Die „richtige“ Pflege einer Grabstelle ist oft Anlass für Diskussionen und schränkt im Zweifel die individuellen Möglichkeiten der Menschen ein, die besondere Wünsche für die Gestaltung der Fläche haben.
Im Seminar diskutierten wir, ob es zum Beispiel erlaubt sei, auf einem Grab Wildblumen, Erdbeeren oder Gemüse anzupflanzen. Eine Kommilitonin erwähnte, dass ihr Großvater leidenschaftlicher Gärtner gewesen sei und für sie hätte eine Bepflanzung in seinem Sinne ein wunderbares Trauerritual dargestellt. Leider wurden die kleinen Setzlinge von der Friedhofsaufsicht in ihrem Ort angemahnt und mussten entfernt werden. Aber warum eigentlich? Offiziell wurde ihr mitgeteilt, dass es von anderen Friedhofsbesucher:innen als „verstörend“ wahrgenommen wurde, essbare Pflanzen auf einem Grab zu sehen. Sie erhielt außerdem eine Liste der erlaubten Bepflanzungsmöglichkeiten, um das nun kaum geschmückte Grab schnell wieder „angemessen“ herrichten zu können.

Ich habe lange über diese Geschichte nachgedacht. Ich denke, Friedhöfe und eine individuelle Grabgestaltung und -nutzung könnten die Trauerarbeit vieler Menschen positiver beeinflussen, wenn es weniger strenge (und teils auch antiquierte) Regelungen geben würde. Trauer braucht Freiheit im Sein und ist genauso einzigartig, wie die Person, die sie durchlebt. Das sollte – natürlich in einem kontrollierten Maß – auch für die Gestaltung von Grabstätten gelten. 

Statt Erdbeeren wachsen auf dem Grab des Großvaters nun eine Auswahl der erlaubten Pflanzen, die zumindest den Wildbienen guttun. Hobby-Imker war er nämlich auch.

Friedhöfe als Kulturgut

Auf Empfehlung der Deutschen UNESCO-Kommission hat die Kultusministerkonferenz im März 2020 die Aufnahme der „Friedhofskultur in Deutschland“ in das Bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes beschlossen. Dies umfaßt nicht die einzelnen Friedhöfe im Speziellen, sondern die „lebendigen Ausdrucksformen, die von menschlichem Wissen und Können getragen, von Generation zu Generation weitervermittelt und stetig neu geschaffen und verändert werden“, wie es die deutsche UNESCO-Kommission zusammenfasst.

Besonders wichtig für die Entscheidung waren zwei konkrete Themenfelder.
Einerseits geht es um das, was wir auf einem Friedhof tun: trauern, gedenken und erinnern. Aber auch: gestalten, bewahren und pflegen. Außerdem würdigt die Ernennung der UNESCO-Kommission den diversen, gesamtgesellschaftlichen Wert der Friedhofskultur. Friedhöfe verbinden Menschen auf ganz unterschiedliche Weise. Kulturell, sozial und auch historisch, aber auch in Bezug auf Natur- und Klimaschutz, gesellschaftliche Integration oder nationale Identität.

Die Erfassung der Ernennungskriterien zeigt aber auch die facettenreiche Aufgabe auf, die sich uns im Erhalt und der Mitgestaltung des Trauerortes „Friedhof“ im Sinne und unter der Miteinbeziehung aller Menschen stellt. Fragen wir uns also: Was braucht es, um Friedhöfe als lebendige Orte der Begegnung und des Erinnerns zu erhalten?

Der Parkfriedhof – Leben auf den Friedhof holen

Menschen, die eine Runde im Grünen joggen, in Ruhe auf einer Bank ein gutes Buch lesen oder einen Spaziergang mit dem Hund machen – das sind Bilder, die uns aus Parks und Grünanlagen vertraut sind. Aber können dies auch angemessene Aktivitäten für einen Friedhof sein?
Einige Vorreiter dieser Bewegung gibt es bereits: Die Anlagen des Assistens-Friedhofs in Kopenhagen (Dänemark) oder auch des Père Lachaise in Paris (Frankreich) sind Beispiele für eine baumreiche Gestaltung in organischen Formen, die zum Entdecken und Verweilen einlädt. Oft werden auch touristische Führungen angeboten denn diese Friedhöfe gelten als Sehenswürdigkeiten der jeweiligen Städte.

Schon seit einigen Jahren ist eine Diversifikation des sepulkralen Raumes zu beobachten – auch einige deutsche Friedhöfe sind mittlerweile mehr als die Ruhestätte der Verstorbenen. Ich persönlich begrüße diese Bewegung. Sie macht Friedhöfe zu Orten, in denen die Lebenden den Erinnerungen an verstorbene Menschen auf neue Art begegnen können. Ein Friedhof, den ich unabhängig von einem eigenen Trauerfall besuche, gibt mir die Möglichkeit, mehr über die Menschen zu erfahren, die vor mir in meiner Stadt gelebt haben. Ich entdecke Grabstellen, Namen und auch Gedenkstücke, die mich nachdenken lassen: Wer waren diese Menschen, was hat sie in ihrem Leben bewegt, was war ihre Geschichte? Ich spüre eine zarte Verbundenheit mit den mir mittlerweile bekannten Namen auf den Steinen auf meiner Spazierroute. Man scheint sich zu kennen – und im Vorbeigehen nicke ich Frau Kleinmeister zu, mit einem leisen Gruß.

 

Sarah Zinn / Autorin, Medienschaffende und Studentin der PERIMORTALEN WISSENSCHAFTEN/Universität Regensburg
https://www.uni-regensburg.de/theologie/moraltheologie/perimortale-wissenschaften-ma/index.html

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