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„Ich studiere den Tod“ ③

„Perimortale Wissenschaften“ ist der neue Master-Studiengang an der Universität Regensburg: Sterben, Tod und Trauer interdisziplinär. Die Autorin Sarah Zinn ist seit Oktober 2020 immatrikulierte Studierende und berichtet in unserer Serie von ihren Erfahrungen mit diesen großen Lebensthemen.

„Ich studiere den Tod“ ③

Logogestaltung: Sophie Wetterich

07. Januar 2021

Tod, Trauer und Sterben sind große Themen.

Nicht nur in Zeiten einer Pandemie betreffen sie uns alle, früher oder später. Im Studiengang „Perimortale Wissenschaften“ geht es darum, diese Lebensthemen sichtbar zu machen, zu ent-tabuisieren und mit anderen Disziplinen zu verknüpfen. Das Ziel muss sein, das Sterben und den gesellschaftlichen Umgang damit zu normalisieren. Doch lässt sich der Tod überhaupt studieren, durch Vorlesungen und Seminare erfahrbar machen? Unter einem Bericht zum Start des Studiums im Oktober 2020 las ich einen Kommentar „Schön und gut, aber Trauernden helfen kann nur, wer selbst Trauer erlebt hat. Dafür braucht es mehr als Bücherwissen und einen Uni-Abschluss.“ Ich stimme der unbekannten Schreiberin zu: Fachkompetenz allein macht keine gute Begleitung aus. Aber es gibt uns Studierenden das nötige Handwerkszeug mit auf den Weg, um Menschen über Handlungsoptionen zu informieren, ihnen Techniken zur Akzeptanz der eigenen Situation und zum Umgang mit ihren Emotionen zu zeigen oder ihnen den Kontakt zu den richtigen Expert:innen für ihr ganz persönliches Anliegen zu vermitteln. Ohne diese Kompetenzen können wir nicht professionell begleiten – und eine qualifizierte Ausbildung muss dafür die Basis sein.
Dennoch braucht es mehr als das, um Sterbende und ihre Zugehörigen kompetent und menschlich zu unterstützen. Empathie, Feingefühl im Umgang miteinander und die Bereitschaft, ganz für die andere Person da zu sein, ermöglichen eine erfüllende und ehrliche Begegnung, die der individuellen Trauer den Raum und die Zeit gibt, die sie braucht.

Von meiner Ärztin erwarte ich nicht, dass sie jede Krankheit, mit der ich vorstellig werde, schon selbst durchlebt hat. Aber ich erwarte, dass sie mir zuhört, mich ernst nimmt, sich Zeit nimmt, mir und meinen Empfindungen Raum gibt – und ich vertraue darauf, dass sie mir Handlungsoptionen aufzeigt, die mir in meiner Situation helfen. Da gibt es doch gewisse Parallelen, oder?

15. Januar 2021

Wie individuell, wie „im Trend“ kann eine Bestattung sein?

Sprechen wir über Beerdigungen, haben die meisten Menschen traditionelle Bilder im Kopf: schwarz gekleidete Trauergäste, dezenter Blumenschmuck, ein Sarg oder eine Urne im klassischen Design. In dieser Konformität liegt durchaus Trost, doch wird der Ruf nach außergewöhnlichen und besonderen Elementen immer lauter. So sprechen beispielsweise die Künstler:innen von http://www.finaleform.de/de von einem “zeitgenössischen Umgang mit [menschlicher] Asche“ und gestalten Urnen, in denen sich „die gegenwärtigen ästhetischen Vorstellungen und Haltungen zum Leben auch im Tod wiederfinden“ sollen. Viele der Objekte erinnern an extravagante Kunstobjekte, es gibt eine große Vielfalt an Formen, Materialien und Farben. Jedes Stück ein Unikat, versteht sich. Das Kollektiv möchte Menschen ermutigen, sich der Frage nach der eigenen „finalen Form“ zu stellen – und fördert damit die Akzeptanz der eigenen Endlichkeit als Teil des individuell gestaltbaren Lebens.

Eine Erweiterung der klassischen Bestattungskultur in allen Aspekten empfinde ich persönlich als große Bereicherung für Trauernde und Sterbende gleichermaßen. Ich bin der festen Überzeugung, dass mehr Handlungsoptionen und Freiheiten bei der Planung sowie Ausgestaltung einer Beisetzung (wenn ich das möchte schon vor dem Tod) zu persönlicheren und bedeutsameren Abschieds-Erfahrungen führen.

21. Januar 2021

Das Studium bringt die unterschiedlichsten wissenschaftlichen Fachbereiche zusammen. So sprechen wir zum Beispiel über gesetzliche Grundlagen (das Bestattungsrecht in Deutschland hat es Dank des Föderalismus in sich!), medizinische Aspekte des Sterbens oder gesellschaftliche Trends rund um Trauer und Tod. Wir schulen unsere Fähigkeiten für die Begleitung Zugehöriger und lernen, wie wir ethische Fragestellungen im pflegerischen Kontext kritisch analysieren können.

So verschiedenen wie die Themen sind auch die Studierenden. Dank „Digital Learning“ klappt der Austausch untereinander auch in Zeiten der Pandemie. Wir profitieren von diversen Blickwinkeln, spannenden Berufserfahrungen und den konstruktiven Diskussionen in den Arbeitsgruppen. Vor dem Start des Studiums habe ich mich gefragt, wer sich wohl für so ein „Nischen-Thema“ an der Uni einschreiben würde. Es hat sich herausgestellt: es sind Menschen jeder Altersgruppe, mit Erfahrung im Bereich Trauer und Tod, Quereinsteiger:innen, religiöse Personen, Atheist:innen, Studierende aus Ost und West, mit und ohne Familie, Menschen mit eigenen Trauer-Geschichten,…

Kurzum: Tod ist gar keine Nische, sondern geht uns alle an – das zeigt sich an meinen Kommiliton:innen und der inhaltlichen Vielfalt des Studiums.

26. Januar 2021

Symbole der Erinnerung

Im Alltag sind Symbole der Erinnerung mittlerweile auch abseits von Friedhöfen und Trauerfeiern allgegenwärtig. Die weißen „Ghost-Bikes“ für bei Verkehrsunfällen verstorbene Fahrradfahrer:innen, „Stolpersteine“ als Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus, Straßenkreuze, Gedenktafeln, Blumen und Grablichter an Wohnhäusern oder öffentlichen Plätzen. Die Symbole sind gesellschaftliche Mahnmale und persönliche Erinnerungsorte, werfen aber auch gleichzeitig die Frage auf, wie viel Tod und Trauer im Alltag sichtbar sein soll. Können und sollten wir es Menschen zumuten, sie mit dem Andenken an fremde Personen im öffentlichen Raum zu konfrontieren? Wie hoch ist das dauerhafte gesellschaftliche Interesse an einer Erinnerungskultur für Opfer von Unfällen oder Straftaten? Und welchen Effekt haben diese Symbole auf unser Zusammenleben?

Ich finde: Trauer und Erinnerungskultur gehören in vielfältiger Form in die Öffentlichkeit und sollten Teil des gesellschaftlichen Diskurses sein. Mutet einander dieses kollektive Gedenken zu, es ist eine Bereicherung! Symbole wie die „Ghost-Bikes“ oder Erinnerungstafeln verknüpfen die Geschichten der Toten mit unserer täglichen Lebenswelt – und unseren täglichen Handlungen. Sie sind Gesprächsstarter, Zeitzeugen oder Aufforderung zum Engagement. Zu allererst sind sie aber Symbole menschlichen Zusammenhalts: wir sehen die Trauer, wir nehmen sie an und geben ihr Raum. Nicht nur individuell hinter verschlossener Tür, sondern als Gesellschaft, im gemeinsamen Miteinander.

 

Sarah Zinn / Autorin, Medienschaffende und Studentin der PERIMORTALEN WISSENSCHAFTEN/Universität Regensburg
https://www.uni-regensburg.de/theologie/moraltheologie/perimortale-wissenschaften-ma/index.html

 

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